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Nachwuchsförderung: Interview mit Dr. Silvia Reich-Weinberger

Dr. Silvia Reich-Weinberger ist seit Anfang des Jahres Salzburgs erste ärztliche Direktorin. Die gelernte Chirurgin will gezielt die Nachwuchsarbeit fördern und auch Frauen für Führungspositionen motivieren.

Von Mag. Christoph Schwalb | med.ium 11+12/2024

Die Medizin wird immer weiblicher. Laut offiziellen Zahlen ist der Anteil zwischen Männern und Frauen bei den rund 2.200 Ärzt*innen in Salzburgs Krankenhäusern ausgewogen. Bei den medizinischen Führungspositionen sieht es allerdings  ganz anders aus: hier stehen 71 Ärzten in einer Leitungsfunktion nur sechs Ärztinnen gegenüber. Die Leitende Oberärztin Dr. Silvia Reich-Weinberger will das ändern. Seit Februar 2024 ist sie Ärztliche Direktorin im Landeskrankenhaus Hallein – als erste Frau im Bundesland Salzburg – und verantwortlich für 65 Ärzt*innen.

„Ich sehe mich nicht nur im ärztlichen Bereich in der Verantwortung und im Managementbereich in der Verantwortung, sondern ich sehe mich auch ganz deutlich als Vorbild für junge Kolleg*innen und möchte auch Frauen zeigen, dass man in solche Positionen kommen kann und möchte auch an die Kolleginnen appellieren, sich mehr zuzutrauen und durchaus mutiger zu sein“, so Dr. Reich-Weinberger.

Derzeit setzt sie sich für zwei junge ukrainische Ärztinnen und deren Nostrifizierung ein, damit beide das Team in Hallein bald verstärken können.

Interview

Dr.in Siliva Reich-Weinberger, Ärztliche Direktorin der Landesklinik Hallein

med.ium: Wie genau wollen Sie die Nachwuchsarbeit fördern und speziell auch Frauen für Führungspositionen motivieren?

Dr. Siliva Reich-Weinberger: Eine zentrale Maßnahme in der Nachwuchsarbeit sind Mentorship- und Förderprogramme, die gezielt auf die Bedürfnisse junger Ärzt*innen zugeschnitten sind. Diese Programme verbinden Nachwuchsärzt*innen mit erfahrenen Kollegen*innen, die sie bei ihrer fachlichen und persönlichen Weiterentwicklung unterstützen. Besonders wichtig ist es dabei, Frauen aktiv in ihrer Karriereplanung zu stärken. Wir sollten gezielte Führungstrainings und Workshops anbieten, die sich auf die Entwicklung von Führungskompetenzen und die Stärkung des Selbstvertrauens konzentrieren. Wissenswertes Zusätzlich sind transparente und nachvollziehbare Karrierewege entscheidend – gerade Frauen benötigen das klare Signal, dass sie in unserer Klinik Führungsrollen übernehmen können und dass wir sie auf diesem Weg aktiv fördern.

med.ium: Mehraufwand durch Administration, Führung und Spitzenleistung: Warum ist das Primariat – für dessen Erlangung in der Freizeit Zeit für die Forschung nötig ist – oft kein höheres Ziel für viele Ärztinnen?

Dr. Siliva Reich-Weinberger: Ein Primariat bringt nicht nur Verantwortung, sondern auch eine immense Arbeitsbelastung mit sich, die weit über den Klinikalltag hinausgeht. Viele Ärztinnen fühlen sich von dieser Position abgeschreckt, da sie neben der Patient*innenversorgung viel Zeit in Forschung und Weiterbildung investieren müssten – oft in ihrer Freizeit. Dazu kommenadministrative Aufgaben und Personalführung, die zusätzlich fordern. Für viele Frauen spielt auch die Frage nach der Vereinbarkeit von Karriere und Familie eine große Rolle, da Spitzenpositionen oft lange und unregelmäßige Arbeitszeiten verlangen. Hier liegt es in der Verantwortung der Führung, durch gezielte Entlastungen und flexiblere Strukturen langfristig eine bessere Vereinbarkeit und damit auch eine attraktivere Perspektive auf ein Primariat zu schaffen.

med.ium: Work-Family-Balance und Ärztinnen-Karrieren zukunftsfit machen: Wo und wie kann man Entlastungen herbeiführen?

Dr. Siliva Reich-Weinberger: Um eine Work-Family-Balance für Ärztinnen nachhaltig zu ermöglichen, muss man auf flexible Arbeitsmodelle und eine unterstützende Arbeitskultur setzen. Teilzeit- und Jobsharing-Modelle, bei denen sich etwa zwei Personen eine Stelle teilen, wären beispielsweise gute Möglichkeiten, um den Arbeitsalltag flexibler zu gestalten. Auch die Reduzierung administrativer Aufgaben durch Delegation an speziell geschulte Assistenzkräfte würde Ärzt*innen erheblich entlasten. Darüber hinaus wären kinderfreundliche Strukturen wichtig – beispielsweise durch flexible Betreuungsangebote am Arbeitsplatz, die auch kurzfristige Änderungen im Dienstplan abfedern. All diese Maßnahmen tragen dazu bei, den Beruf langfristig attraktiv und vereinbar mit der Familie zu gestalten.

med.ium: Wie kann man Frauen zurückholen, die sich aufgrund der schlechten Erfahrungen, eine ärztliche Karriere einzuschlagen, zurückgezogen haben?

Dr. Siliva Reich-Weinberger: Um Frauen zurückzugewinnen, die sich aus Enttäuschung aus der ärztlichen Karriere zurückgezogen haben, ist ein sensibler und gezielter Ansatz nötig. Wichtig ist, ihnen zuzuhören und herauszufinden, welche Faktoren sie damals belastet haben. Ein maßgeschneidertes Rückkehrprogramm könnte hier entscheidend sein – das beinhaltet flexible Arbeitszeiten, Mentoring durch erfahrene Kolleg*innen, die vielleicht sogar selbst ähnliche Erfahrungen gemacht haben, und umfassende Weiterbildungsangebote. Die Möglichkeit, in Teilzeit oder im Jobsharing einzusteigen, sowie finanzielle Anreize und Unterstützung in der Anfangsphase könnten ebenfalls motivieren.

med.ium: Laut Ärztinnen-Referentin Dr. Emilia Huschka sind fehlende Angebote hinsichtlich Kinderbetreuung und Teilzeitarbeit sowie lange Ausbildungszeiten Karrierebremsen, die Medizinerinnen von einer Profession fernhalten. Welche Angebote könnten Ärztinnen Ihrer Meinung nach in einer Profession halten?

Dr. Siliva Reich-Weinberger: Die Förderung von familienfreundlichen Strukturen steht für mich da ganz oben auf der Liste. Ausreichende flexible und bedarfsorientierte Kinderbetreuungsangebote – wie Betriebskindergärten mit Notfallbetreuungen – würden eine große Entlastung darstellen. Die in Teilzeit verlängerte Ausbildungszeit könnte durch Anpassung, beziehungsweise Änderung des Ärzteausbildungsgesetzes, ebenso abgefedert werden. Darüber hinaus muss das Bewusstsein dafür, dass ärztliche Karrieren auch in Teilzeit möglich sind, gestärkt werden. Das Ziel ist, flexible Karrierepfade anzubieten, die individuelle Lebenssituationen berücksichtigen und die Hemmschwelle zur ärztlichen Laufbahn
verringern.

med.ium: Wenn Sie in Ihrer Ausbildung und Karriere zurückblicken: Welche Situationen hat es gegeben, die Sie heute anders meistern würden oder wo Sie sich Hilfe von Vorgesetzten gewünscht hätten?

Dr.in Siliva Reich-Weinberger: Rückblickend gab es Situationen, in denen ich mir mehr Unterstützung und konstruktives Feedback gewünscht hätte, gerade in Momenten hoher Arbeitsbelastung oder bei Unsicherheiten in meiner Karriereplanung. Damals gab es wenig strukturelle Förderung und kaum eine Kultur des gegenseitigen Austauschs oder Coachings, wie wir sie heute pflegen. Ich denke, dass eine offenere Gesprächskultur und regelmäßige Feedbackgespräche viel zu einem positiven Arbeitsumfeld beitragen können. Auch die Möglichkeit, auf Mentoren zurückzugreifen, die einem in schwierigen Situationen zur Seite stehen, hätte mir sehr geholfen. Diese Erfahrungen bestärken mich heute in meiner Arbeit als ärztliche Direktorin, wo ich den Austausch und die Unterstützung im Team als essenziell sehe und aktiv fördere.

Die Gründe, warum es bei den Führungspositionen eine Kluft zwischen Ärztinnen und Ärzten gibt (im Gegensatz zu deren Gesamtzahl), sind mannigfaltig.

Referentin für Ärztinnen der Ärztekammer für Salzburg Dr. Emilia Huschka (med.ium 1+2/2023):

„Adäquate Kinderbetreuung, Karrieremöglichkeiten in Teilzeitanstellung, Ausbildungsfortführung trotz oder in der Schwangerschaft als auch Verbesserung der Karenzmodelle sind sicher nur einige Themen, die uns jetzt und in Zukunft  beschäftigen werden. Gerade auch in unserer Profession, mit sehr langen Ausbildungszeiten (Studium, Facharztausbildung), ist es oftmals schwierig, Karriere und Familienleben gut zu managen. Ich sehe da auch gesellschaftlich noch großen Aufholbedarf.“

Laut Referent-Stellvertreterin für Ärztinnen Priv.-Doz. Dr. Waltraud Dankl-Eder sei selbst für Oberärztinnen eine Führungskarriere weniger wahrscheinlich sei als für Männer (med.ium 3+4/2024):

„Als negativen Einfluss auf das Erreichen einer Primaria-/Primarposition wurden vor allem die Faktoren Frauen, Teilzeit, jüngeres Alter und das Fach Frauen- und Geburtsheilkunde identifiziert. Als positiven Einflussfaktor wurde ein  Karrieremuster mit wenigen Unterbrechungen im Berufsleben aber mit vielen Positionswechsel verbunden gefunden.“

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