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Medizin in Salzburg

„Warum machen wir es nicht einfach?“ – Die Psychologie der Klimakrise

Ein Interview mit Mag. Dr. Isabella Uhl-Hädicke, BA, Senior Scientist und Umweltpsychologin der Universität Salzburg. Aus unserer Serie "Umweltmedizin: Klimawandel & Gesundheit"

Von Dr.med.univ. Johanna Schauer-Berg, MPH – Umweltreferentin der Ärztekammer Salzburg, Institut für Allgemein-, Familien- und Präventivmedizin, PMU Salzburg | Mag. Christoph Schwalb |  med.ium 11+12/2023 | 13.12.2023

Was hindert uns am umweltfreundlichen Verhalten? Ein Interview mit Umweltpsychologin Mag. Dr. Isabella Uhl-Hädicke, BA

med.ium: Die Evidenz zu den negativen Folgen der Klimakrise wird immer umfangreicher, fast täglich lesen wir Zeitungsberichte zu Extremwetterereignissen – woran scheitern wir beim klimafreundlichen Handeln?

Uhl-Hädicke: Da gibt es viele Faktoren. Ganz konkret: Die Klimakrise erschien bisweilen ganz abstrakt und weit weg, kommt jetzt immer näher und ist aber nach wie noch schwer greifbar. Wir verändern unser Verhalten am ehesten, wenn wir unmittelbare Konsequenzen für unser Verhalten spüren. Das ist die Herausforderung beim klimafreundlichen Verhalten: die Schritte, die wir jetzt setzen, haben in Jahrzehnten Konsequenzen. Ganz vereinfacht gesagt: Wenn ich gerne Fleisch esse und ein klimaneutraler Lebensstil eher mit einer fleischarmen Ernährung einhergeht, stehe ich vor der Entscheidung – entscheide ich mich fürs Schnitzel oder nicht? Wenn ich mich dafür entscheide, erlebe ich sofort positive (lukullische) Gefühle; entscheide ich mich jedoch dagegen, spüre ich jedoch nicht gleich die (positiven) Auswirkungen aufs Klima. Das ist die Herausforderung: ich spüre die unmittelbaren Konsequenzen nicht sofort und unser Verhalten passen wir meist erst durch direktes Feedback an.

Die zweite Herausforderung im Vergleich zu anderen Gesundheitsbereichen ist, dass, wenn ich etwa beschließe, mit dem Rauchen aufzuhören, ich sofort weiß, dass die negativen Konsequenzen weg sind: „Ich habe es geschafft!“ Außer, ich werde rückfällig. Entscheide ich mich für einen klimafreundlichen Lebensstil und ändere selbst alle Bereiche, heißt das nicht, dass das ausreicht, der Klimakrise adäquat
entgegenzutreten – weil es Handlungen von allen und vor allem global braucht. Das Herausfordernde ist insbesondere, nicht in die Spirale hineinzugeraten: „Ja, was kann ich als Einzelner schon dagegen machen? Sollen doch mal die anderen handeln!“ 

Ein weiterer Punkt sind die sozialen Normen, das Verhalten, das ich in meinem Umfeld beobachte. Dieses Verhalten der anderen hat unbewusst eine große Auswirkung auf das eigene Verhalten  (Gruppenzwang). Die anderen essen auch Fleisch, die anderen fahren auch mit dem Auto überall hin, die anderen fliegen auch mit dem Flugzeug in den Urlaub – wenn ich mir das vergegenwärtige, dann erschließt sich mir keine Notwendigkeit, etwas zu ändern. Ein weiterer gravierender Trugschluss hierbei ist zu argumentieren: „Wenn es wirklich so schlimm wäre, dann würden wir ja alle etwas ändern, dann
würde auch die Politik handeln.“ Gerade diese Einstellung suggeriert, dass es ja gar nicht so schlimm ist und alles so weiterlaufen kann wie bisher.

In einer Studie wurde diese Annahme eingehend untersucht (siehe Textende „Mehr Informationen“, Anm. d. Red.). Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich in einem Raum, in den Rauch hineinkommt. Ein klares  Signal dafür, dass es brennt. Was wäre Ihre erste Reaktion? Sie verlassen den Raum, um Ihr Lebenzu retten! Genau das hat man in dieser Studie untersucht. Es befanden sich mehrere Personen in einem Raum als Versuchsanordnung und nur eine Person war nicht eingeweiht. Die anderen waren Teil des Forschungsteams. Der Rauch drang also in den Raum – und die Personen blieben sitzen. Was machte die uneingeweihte Person? Obwohl der Lebensinstinkt höchstwahrscheinlich befohlen hätte zu fliehen, blieb diese Person – getreu der anderen – einfach sitzen. Dieses höchst bemerkenswerte Ergebnis kann man  auch analog zum Verhalten in der Klimakrise sehen. Man orientiert sich an den anderen, ebenfalls untätigen Menschen, weil man im Vertrauen auf diese denkt, sie würden ja handeln, wenn es wirklich so schlimm wäre.

„Ja, was kann ich als Einzelner schon dagegen machen? Sollen doch mal die anderen handeln!“

med.ium: In Ihrer Forschung befassen Sie sich u.a. mit Klimakommunikation – wie sehen Sie das Potential von ‚Gesundheit‘, den Klimawandel weg vom ‚Eisbär auf der schmelzenden Eisscholle‘ und mehr vor die eigene Haustür zu bringen?

Uhl-Hädicke: Der Klimawandel stellt aufgrund seiner gesundheitlichen Konsequenzen eine große Herausforderung für die Medizin dar. Gleichzeitig haben Klimaschutz-Maßnahmen großes Potential, positiv auf die physische und psychische Gesundheit zu wirken, beispielsweise durch Förderung aktiver Mobilität, Umstellung der Ernährung oder Reduktion  der Luftverschmutzung.

Ganz wichtig ist es, an den persönlichen Alltag anzuknüpfen. Gesundheit betrifft uns alle und die Klimakrise samt ihren Auswirkungen auf die Gesundheit hat auch Folgen für uns hier in Österreich. Je konkreter ich auch hier in Salzburg aufzeige, was ich hier vor Ort dafür tun kann, umso besser. Gesundheit und Klimakrise gehen Hand in Hand, weil auch die Hitze uns beeinträchtigt. Es gibt schon jetzt teilweise mehr Hitzetote als Verkehrstote und die Wärme nimmt immer mehr zu. Und das ist nicht nur herausfordernd für Ältere und Kranke. Bei uns werden Themen präsent, von denen man dachte, sie seien abwegig. Ein Beispiel: Als ich 2015 mit meiner Forschung zu Reaktionen auf Klimawandelinformationen angefangen habe, war ein Statement, dass es in Österreich durch das Auftreten der Tigermücke vermehrt zu Vorfällen mit Malaria und Denguefieber kommen wird. Das hat total utopisch geklungen! Und heuer haben wir bereits von Dengue-Clustern am Gardasee gehört und die Tigermücke ist in Österreich angekommen.

Die Klimakrise hat also viele negative Konsequenzen für unsere Gesundheit, aber: ein klimafreundlicher Lebensstil bietet auch viele Chancen für unsere Gesundheit. Angenommen, wir ändern unser Mobilitätsverhalten, gehen mehr Fuß und fahren mehr Rad, dann fördern wir damit auch unser Wohlbefinden, unsere Gesundheit. Wenn wir unser Ernährungsverhalten überdenken, deckt sich ein klimafreundlicher Ernährungsstil auch sehr mit einem gesunden. Dank vieler pflanzlicher Lebensmittel kann man viele Vorteile für die eigene Gesundheit genießen.

med.ium: Verhalten wird stark durch soziale Normen beeinflusst. Welche Rolle können Ärztinnen und Ärzte übernehmen, um einen gesundheits- und klimafreundlichen Lebensstil zu fördern?

Uhl-Hädicke: Auf zwei Ebenen. Das erste ist immer: Vorbild sein und positiv vorleben. Gesund ernähren, sich klimafreundlich fortbewegen – durch sein eigenes Verhalten kann man andere Menschen oft unbewusst beeinflussen und motivieren. Aber auch, indem man Informationen weitergibt im Umgang mit den Patientinnen und Patienten.

Das zweite: Am wichtigsten ist die Veränderung der eigenen Lebensweise, denn so zeigt sich einem die Selbstwirksamkeit. Dadurch, dass ich selbst so handele, bin ich glaubwürdig und erfahre am eigenen Leib bewusst die Vorteile meiner Verhaltensänderung. Ich mit meinem Handeln kann diese Verhaltensänderung konkret unterstützen. Das heißt: „Was konkret kannst du machen? Wie können ein gesundes  Leben und klimafreundliches Handeln Hand in Hand gehen? Welches Co-Benefit hat dieses oder jenes klimafreundliche Verhalten auf deine Gesundheit?“ Gerade als Arzt oder Ärztin würde ich mich darauf fokussieren.

Mehr Informationen

Begleitende Leseempfehlung:

Isabella Uhl-Hädicke, Warum machen wir es nicht einfach – die Psychologie der Klimakrise? Molden Verlag

Studie:

Latane, B., & Darley, J. M. (1968). Group inhibition of bystander intervention in emergencies. Journal of Personality and Social Psychology, 10(3), 215–221. https://doi.org/10.1037/h0026570