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Medizin in Salzburg

Smartphone-Nutzung Kinder und Jugendlicher

Fachgruppenobmann für Kinder- und Jugendheilkunde Dr. Holger Förster erklärt, worauf bei der Smartphone-Nutzung von jungen Menschen zu achten ist und ab wann Kleinkinder dieses Medium bedienen sollten.

Smartphone Nutzung Kinder und Jugendlicher

Foto: stock.adobe.com

Dr. Holger Förster | Mag. Christoph Schwalb | med.ium 3+4/2024 | 26.4.2024

Einst zählten Neuseelands Schülerinnen und Schüler hinsichtlich Lernkompetenz in der Pisa-Studie zu den Besten eltweit. Das allerdings vor dem Zeitalter von Smartphones, die bereits seit 2007 am Markt sind. Inzwischen hat die Kompetenz offenbar so stark nachgelassen, dass sich Neuseelands Regierung gezwungen sieht, Smartphones aus den Schulen zu verbannen.

Auch in Österreichs Nachbarländern Deutschland und Italien werden immer wieder Forderungen laut, die Geräte aus dem unmittelbaren Lernumfeld zu entfernen und die Aufmerksamkeit wieder vermehrt auf den Unterricht zu lenken. In Deutschland fordert der Solinger Kinderarzt Dr. Thomas Fischbach (bis Ende 2023 Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte) laut der Zeitung Rheinischer Post schon länger ein Handyverbot an Schulen, da die Ablenkung durch wahllosen Internetkonsum nichts mit Medienkompetenz zu tun habe. In Frankreich gibt es ein Handyverbot in Schulen bereits seit 2018. Der Weltbildungsbericht 2023 der UNESCO konstatiert einen „negativen Zusammenhang zwischen übermäßigem Medieneinsatz und den Leistungen der Lernenden“. Laut der aktuellen Mediensuchtstudie der Deutschen Angestellten-Krankenkasse und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf weisen rund 360.000 Mädchen und Jungen Suchtkriterien auf.

Handys verringern die Aufmerksamkeit extrem, machen aufgrund von Bewegungsmangel dick und die lange Zeit vor dem Bildschirm schadet Augen und gesundem Schlafverhalten, so die landläufige Meinung. Wie sieht die medizinische Realität aus Sicht von Salzburger Kinderärzten aus? Wir haben den Fachgruppenobmann für Kinder- und Jugendheilkunde Dr. Holger Förster um seine Eischätzung gebeten.

Kinderarzt Dr. Holger Förster hat hinsichtlich Smartphone-Nutzung von Kleinkindern und Jugendlichen drei Szenarien in den Altersgruppen beobachtet:

  • Säuglinge: Sie werden in der Ordination mit Handy-Kindervideos beruhigt oder besser: die Eltern versuchen, sie damit zu beruhigen – die Babys wischen schon professionell über den Bildschirm.
  • Kleinkinder: Kommen zur Abklärung einer Sprachstörung – reden teilweise nur wenige Worte, wirken autistisch – sind aber in Wirklichkeit nur in einer digitalen Welt mit sehr hoher screen time  aufgewachsen. Mit drastischer Reduktion der Bildschirmzeit und vermehrter direkter face to face-Interaktion verbessern sich die Sprache und das Verhalten sehr rasch.
  • Jugendliche: Kommen mit Verhaltensauffälligkeiten im Sinne von ADHS und aggressivem bzw. auch depressivem Verhalten. Die Anamnese in Richtung Handy- und social media-Gebrauch führt  häufig zur Ursache. „Solche Kinder bekommen wir in der Praxis sicher wöchentlich zu sehen“, so Dr. Förster.

Allgemein ist eine Gefahr der Suchtentwicklung gegeben

Ganz allgemein lasse sich feststellen, dass die Mediennutzung die sozio-emotionale Kompetenz, das Sprachverhalten, die Augenentwicklung und die Entwicklung von Übergewicht beeinflusst, sagt
Kinderarzt Dr. Förster. Die Folge sei eine Gefahr der Suchtentwicklung und das Risiko, in Cyber-Fallen zu tappen.

Empfehlung von Kinderarzt Dr. Holger Förster zur idealen Nutzung von Smartphones:

Für Eltern:

  • Eltern sollten ihre Vorbildwirkung ernst nehmen und das Handy etc. nur wirklich zielorientiert einsetzen
  • Kindern sollten sie spezielle Inhalte zeitbegrenzt erlauben und diese danach persönlich mit ihnen besprechen
  • aktiv Spiele mit den Kindern anbieten – draußen wie drinnen und nicht screen time als externe Nanny time missbrauchen

Für Ärztinnen und Ärzte:

  • schon ab der Mutter-Kind-Pass-Lebenswoche 4 – 7 bei Eltern dieses Thema ärztlich ansprechen und sensibilisieren

Zeit und Smartphone-Nutzung abhängig vom Alter:

  • bis 3 Jahre: keine screen time (Zeit mit anderen Familienmitgliedern zusammen verbringen)
  • 3 – 6 Jahre: 30 min./Tag spezielle Inhalte und viel aktives Vorlesen und Besprechen der Inhalte
  • 6 – 10 Jahre: 60-90 min./Tag: Spiele und Filme gemeinsam im Netz erleben und verarbeiten
  • > 10 Jahre: 90-120 min./Tag: Kinder und Jugendliche sind immer mehr mit Freunden und weniger mit Eltern unterwegs im wahren und digitalen Leben – trotzdem sollten Eltern sie dabei begleiten, wertschätzend Gemeinsames mit ihnen erleben und Ansprechpartner bleiben.

Fragen & Antworten: Dr. Holger Förster

Ab welchem Alter ist wie viel Nutzung angemessen?

Bis 3 Jahre keine Zeit vor dem Bildschirm, 3 – 6 Jahre 30 Min./Tag, 6 – 10 Jahre 60 – 90 Min./Tag abhängig von Inhalten (Spiel, Schule?), ab 10 Jahren 90 – 120 Min./Tag.

Sollte die Nutzung bei Kleinkindern gemeinsam mit den Eltern erfolgen?

Ja, unbedingt die Kinder begleiten und unterstützen, Inhalte zu verarbeiten und nachzubesprechen. Die direkte emotionale Eltern-Kind-Bindung ist wichtig!

Sind Smartphones schädlicher als Fernsehen oder – falls nicht – sollte eine Sendung sogar eher am Smartphone angesehen werden?

Da der Abstand beim Smartphone geringer ist als beim TV, ist das Risiko einer Myopieentwicklung höher. D.h. besser – wenn überhaupt – Filme am TV schauen, und am Smartphone nur, was nötig ist.

Gibt es Studien zu Augen- und Haltungsschäden, wenn schon Kleinkinder das Smartphone nutzen?

Ja, dazu gibt es gute Daten, die zeigen, dass Naharbeitszeit ein Risikofaktor für das Entstehen einer Myopie ist – unabhängig von der Tätigkeit, also auch bei zu vielem Lesen. Laut der „Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ (KIGGS) zeigt sich in Deutschland eine gleichbleibende Prävalenz von Myopie bei Kindern von 0 – 17 Jahren von ca. 11 Prozent über die letzten Jahrzehnte trotz zunehmender Bildschirmzeit (in Japan dagegen alarmierende Werte bis zu 80 Prozent bei deutlich mehr Bildschirmzeit). Haltungsschäden im Sinne eines Smartphone-Nackens sind Kindern eher zu erwarten als bei Erwachsenen, da der Kopf relativ schwerer und die Muskulatur schwächer ist. So kommt bei nach vorne gebeugtem Kopf mehr Belastung auf die Halswirbelsäule – limitierte Bildschirmzeiten und Ausgleichssport können wertvolle Prophylaxe sein.

Wie sieht es mit dem gesundheitlichen Aspekt aus, wenn Smartphones parallel beim Essen genutzt werden? Mit der Konzentrationsfähigkeit, etc.?

Essen sollte in jedem Alter Essen bleiben, mit kommunikativem Aspekt und ohne Ablenkung durch Spiele, TV, Smartphone oder Zeitung. D.h. das Essen und die Nahrungsmittel sollten Kinder und Jugendliche bewusst in Qualität und Menge erleben.

Und neben den vielen negativen Aspekten: Gibt es aus gesundheitlicher Sicht auch positive Wirkungen bei der Nutzung?

Die positiven Effekte liegen im kognitiven Bereich: mit entsprechenden Apps lernen die Kinder beispielsweise spielerisch Farben und Formen zuzuordnen, sich auf etwas zu konzentrieren. Ältere Kinder haben den großen Vorteil der raschen immer verfügbaren Vernetzung in social media-Kanälen.

Welche Tipps gibt es, um die Benutzungsdauer einzuschränken?

Nach dem Motto „smart ohne phone“ kann man den Kindern andere Beschäftigungen erlebbar machen – altersgerechte gemeinsame Spiele drinnen und draußen, Basteln, Lesen – auch wenn es für die Erwachsenen primär anstrengender ist und die Bespaßung der Kinder nicht an die  Elektronik delegiert werden kann (= Vorbildfunktion der Erwachsenen!). Dazu hilft es, fixe Bildschirmzeiten
festzulegen und auch Inhalte zu definieren.

Bei nächtlicher Nutzung: Welches Umgebungslicht wird empfohlen?

Normale Lampenbeleuchtung reicht üblicherweise aus, um lästiges Flackern bzw. schnelle Helligkeitsänderungen des Bildschirms auszugleichen.

Hilft ein Blaufilter wirklich, um besser einschlafen zu können?

Hierzu gibt es verschiedene Studien, die eher keinen Zusammenhang sehen, obwohl theoretisch durch erhöhte Blaustrahlung weniger Melatonin ausgeschüttet wird, was den Schlaf hemmen würde. Möglicherweise ist die Blaustrahlung von Handys aber auch zu schwach, um wirklich relevant zu werden und Filter nützen demnach eigentlich nichts. Zudem gibt es viele andere Faktoren, die den Schlaf positiv oder negativ beeinflussen.

Ab welchem Alter kann oder sollte man Kindern ein Smartphone kaufen? Je später, umso besser?

Später ist nicht besser, sondern kann sogar negative soziale Folgen haben – mit Mobbing und Ausgrenzung. Die meisten Empfehlungen sehen ein Smartphone für Kinder ab dem Alter von 9 – 10 Jahren als vernünftig an.