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Qualität braucht Struktur

Neue Leitlinien der Österreichischen Ärztekammer geben der Ärzteausbildung einen zukunftsweisenden Rahmen.

Von Dr. Matthias Vavrovsky, MBA | med.ium 1+2/2025

Die Qualität der ärztlichen Ausbildung steht vor vielschichtigen Herausforderungen: Eine Generation junger Ärzte fordert mehr Struktur und transparentere Ausbildungswege. Ausbildungsstätten ringen nicht nur mit der Umsetzung komplexer rechtlicher Vorgaben, sondern auch mit der Bereitstellung notwendiger Ressourcen für eine qualitativ hochwertige Ausbildung. Die zunehmende Mobilität der Ärzteschaft verlangt zudem nach vergleichbaren Standards – national wie international. Die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) hat diese Entwicklungen zum Anlass genommen, neue Standard- und Qualitätsleitlinien für die Ärzteausbildung zu entwickeln.

„Die Komplexität der Ausbildung hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen“, erklärt Dr. Matthias Vavrovsky, Vorsitzender des Ausbildungsausschusses der Ärztekammer Salzburg und Leiter der Arbeitsgruppe zur Erstellung der Leitlinie. „Die fachlichen Anforderungen sind in den Rasterzeugnissen zwar definiert, aber die organisatorischen Rahmenbedingungen waren bisher aufgrund ihrer Verteilung über verschiedene Gesetze für die Praxis schwer erfassbar und interpretierbar.“

Bei der Entwicklung der Leitlinien orientierte sich die Arbeitsgruppe daher sowohl an nationalen Erfahrungen und Vorgaben, als auch an den Standards der World Federation for Medical Education (WFME). „Die ärztliche Ausbildung muss einerseits internationale Standards erfüllen, um die Mobilität der Ärztinnen und Ärzte zu gewährleisten“, erläutert Vavrovsky. „Andererseits müssen diese Standards im Kontext des österreichischen Ausbildungssystems praktisch umsetzbar sein.“ Die Leitlinien schaffen diese Balance, indem sie rechtliche Vorgaben und internationale Best-Practice-Modelle in praktikable Handlungsempfehlungen übersetzen.

„Die Komplexität der Ausbildung hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen.“

Um diesen komplexen Anforderungen gerecht zu werden, etablieren die Leitlinien ein dreistufiges Empfehlungssystem. MUSS-Empfehlungen definieren dabei die verbindlichen Standards, die sich aus den gesetzlichen Vorgaben ableiten. SOLL-Empfehlungen beschreiben bewährte Praktiken aus dem In- und Ausland, während KANN-Empfehlungen gezielt Raum für innovative Ausbildungskonzepte eröffnen. „Diese differenzierte Herangehensweise ermöglicht es jeder Ausbildungsstätte, ausgehend von den Mindeststandards ihre Ausbildungsqualität systematisch weiterzuentwickeln“, erklärt Vavrovsky.

Ein Aspekt der Leitlinien ist die erstmalige Definition der strukturellen Voraussetzungen für eine qualitativ hochwertige Ausbildung. Dies umfasst sowohl infrastrukturelle Anforderungen als auch klare Vorgaben für die personelle Ausstattung – beispielsweise durch die Empfehlung, dass Ausbildungsverantwortliche mindestens 20 % ihrer Arbeitszeit für Ausbildungsaufgaben zur Verfügung haben sollten. Die Leitlinien bieten zudem einen strukturierten Rahmen für die praktische Ausbildungsorganisation: von klar definierten Ausbildungskonzepten und transparenten Rotationsplänen bis hin zu Vorgaben für Nachtdienste und Teilzeitmodelle.

Während die aktive Einbindung von Ausbildungsärzten in zentrale klinische Prozesse grundsätzlich selbstverständlich ist, schaffen die Leitlinien nun vergleichbare Standards dafür. Sie definieren konkret, wie Ausbildungsärzte in die Visite eingebunden werden sollen, unter welchen Bedingungen Ausbildungsärzte eigenverantwortlich in der Ambulanz tätig sein können und wie ihre Integration in interdisziplinäre Fallbesprechungen gestaltet werden soll.

Ein weiterer Aspekt der Leitlinien ist die systematische Beurteilung des Ausbildungsfortschritts. Neben den gesetzlich vorgeschriebenen Evaluierungsgesprächen empfehlen die Leitlinien die Implementation arbeitsplatzbasierter Assessments (AbAs), die sich in vielen Ländern wie Großbritannien, den Niederlanden oder der Schweiz bereits als Standard etabliert haben. Diese ermöglichen eine kontinuierliche Beurteilung und Förderung der Kompetenzen direkt im klinischen Alltag. „Feedback muss als kontinuierlicher Prozess verstanden werden“, erläutert Vavrovsky. „Nur durch eine strukturierte und regelmäßige Leistungsbeurteilung können Ausbildungsärzte ihre Entwicklung reflektieren und gezielt an ihrer Kompetenzentwicklung arbeiten.“ Die Leitlinien zeigen auf, welche Elemente für ein effektives Beurteilungssystem wichtig sind – von regelmäßigen Evaluierungsgesprächen bis zur systematischen Dokumentation des Ausbildungsfortschritts – und geben den Abteilungen dabei den notwendigen Gestaltungsspielraum für die konkrete Umsetzung.

„Wir streben einen nachhaltigen Kulturwandel an“, erklärt Vavrovsky. „Weg von ,Learning by Doing‘ hin zu einer systematischen Ausbildungskultur, in der das Lehren und Lernen als zentrale Aufgabe verstanden wird.“ Die Leitlinien sind dabei nicht das Ende, sondern der Beginn eines kontinuierlichen Entwicklungsprozesses. „Die Qualität der ärztlichen Ausbildung heute bestimmt die medizinische Versorgung von morgen“, resümiert Vavrovsky. „Mit den neuen Leitlinien haben wir eine solide Basis geschaffen, die wir gemeinsam mit allen Beteiligten kontinuierlich weiterentwickeln werden.“

Die Standard- und Qualitätsleitlinien der Ärzteausbildung wurden vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer beschlossen und stehen ab sofort als Download auf der ÖÄK-Homepage zur Verfügung: www.aerztekammer.at/ausbildungsleitlinie

Die Leitlinien liegen in zwei Versionen vor: einer ausführlichen Langversion, die detaillierte Erläuterungen und rechtliche Grundlagen enthält, sowie einer Kurzversion, die sich als praktische Checkliste für die Umsetzung eignet.