Von Univ.-Prof. Dr. Uta Hoppe, Vorstand der Universitätsklinik für Innere Medizin II der PMU, Kardiologie | med.ium 9+10/2024 | 8.10.2024
Unter dem Begriff Mikroplastik versteht man kleine Partikel, die aus verschiedenen wasserunlöslichen, meist aus Erdöl hergestellten synthetischen Polymerwerkstoffen (z. B. Polyethylen, Polypropylen …) bestehen. Die Größendefinition ist nicht einheitlich. Entsprechend der OECD werden Kunststoffteilchen mit einer Größe von 1 Mikrometer bis zu 5 mm als Mikroplastik, noch kleinere Partikel mit einem Durchmesser <1 μm als Nanoplastik bezeichnet.
Entsprechend der Entstehung wird zwischen primärem und sekundärem Mikro- und Nanoplastik (MNP) unterschieden. Primäres MNP wird gezielt kommerziell hergestellt und beispielsweise Reinigungs- und Scheuermitteln, einigen kosmetischen Produkten, Lacken und Farben sowie als Trägermaterial Dünger und Pflanzenschutzmitteln zugesetzt. Primäres MNP ist für 15 – 30 % der Umweltbelastung verantwortlich.
Sekundäres MNP entsteht vorwiegend durch Reifen- und Straßenabrieb, aber auch durch chemische und physikalische Alterungs- und Zerfallsprozesse von Kunststoffprodukten, beispielsweise von Plastiktüten und Plastikflaschen oder Fischfangnetzen, durch das Tragen und Waschen kunststoffhaltiger Textilien oder z.B. dem Abrieb von Schuhsohlen oder Kunstrasen. Sekundäres MNP macht 70 – 80 % der Gesamtmenge an Mikroplastik aus, das in die Natur gelangt.
Der Mensch tritt über diverse Wege wie z. B. über Trinkwasser, Luft, Staub, Lebensmittel oder Kosmetika mit MNP in Kontakt. Das Ausmaß der potentiellen Aufnahme von MNP über die unterschiedlichen Routen und die Relevanz verschiedener Kunststoffarten für die menschliche Gesundheit sind derzeit unklar. Grundsätzlich kann MNP im menschlichen Stuhl nachgewiesen werden, was belegt, dass MNP mit der Nahrung aufgenommen wird. Die Ingestion von MNP kann direkt über kontaminierte Produkte wie Getränke aus Plastikflaschen, aber auch Salz oder Bier erfolgen oder indirekt über Organismen, die selbst MNP aufgenommen haben. Dies gilt beispielsweise für Fische und Meeresfrüchte.
In Tierexperimenten konnte nachgewiesen werden, das MNP aus dem Gastrointestinaltrakt in die Zirkulation transloziert und in andere Organe transportiert werden kann. Das Ausmaß hängt von der Partikelgröße sowie Dauer der Exposition ab
und variiert zwischen verschiedenen Spezies. Entsprechend Aussagen der WHO kann MNP ≤ 150 μm intestinales Epithel, MNP mit einem Durchmesser ≤ 10 μm Gefäßwände penetrieren. Die Biodistribution beim Menschen ist noch wenig
erforscht. Ein Bericht der European Food Safety Authoritiy geht davon aus, dass der Mensch > 90 % des mit Meeresfrüchten aufgenommenen MNP über Stuhl und Urin eliminieren kann.
MNP kann auch inhaliert werden und je kleiner die Kunststoffteilchen sind, desto tiefer in die Lunge und die Alveolen eindringen. Die Blut-Luft-Schranke kann jedoch von MNP, das größer als 400 nm ist, nicht penetriert werden. Eine Aufnahme von MNP über die intakte Haut mit Translokation ins kardiovaskuläre System wurde in Studien bisher nicht gezeigt.
Subklinische kardiale Toxizität von MNP wurde vorwiegend in Fischen und Mäusen untersucht. Nach oraler Exposition konnte MNP in Myokardzellen und im Perikard nachgewiesen werden. In Abhängigkeit von der Größe der Partikel und der Menge führte MNP zu einer abnormen Herzfrequenz sowie eingeschränkten Herzfrequenzvariabilität und minderte in neonatalen Herzmuskelzellen die Kontraktilität. Zudem wurden
Perikardergüsse und eine Myokardfibrose beschrieben.
Pathophysiologisch induziert MNP oxidativen Stress, die Produktion von Sauerstoffradikalen, Entzündungsreaktionen sowie zellulären Tod durch Apoptose bzw. Pyroptose. Die Myokardschädigung resultiert dabei nicht nur durch lokales MNP in Herzmuskelzellen, sondern auch über eine systemische, durch MNP getriggerte Inflammation. Es wird derzeit diskutiert, inwieweit diese Pathomechanismen spezifisch Kunststoff-assoziiert sind oder als Reaktion auf Fremdstoffpartikel per se, wie sie auch z. B. durch Goldpartikel induziert werden, resultieren.
In Abhängigkeit von der Oberflächenstruktur, der Expositionsdauer und der Partikelgröße kann MNP Thrombosen begünstigen, die Blutkoagulation modifizieren und in vitro rote Blutkörperchen hämolysieren. Mikroplastik mit einem Durchmesser von etwa 6,8 μm führte in Makrelen zu einer mechanischen Blockade von Kapillaren im Bereich des Herzens. MNP kann zudem das vaskuläre Endothel schädigen. MNP scheint direkt mit der Membran von Endothelzellen interagieren zu können. Dies kann zur Aufnahme von MNP in Endothelzellen, einer endothelialen Dysfunktion, der gestörten Interaktion von Endothelzellen mit Blut- und Immunzellen sowie einer Entzündungsreaktion führen. Eine MNP-Exposition resultierte zudem in einer Dysfunktion und Inflammation von perivaskulärem Fettgewebe.
Experimentelle Studien in Tiermodellen und Zellsystemen erfolgten fast ausschließlich mit Polystyrol. Im realen Leben findet jedoch eine Exposition gegenüber diversen Kunststoffarten mit unterschiedlichen Charakteristika und potentiell verschiedenen toxischen Wirkungen statt. Einige Effekte, wie eine Hämolyse durch MNP wurde bisher nur in vitro gezeigt und es ist unklar, ob diese toxische Reaktion in vivo eine Relevanz haben kann.
Von wesentlicher Bedeutung, die meisten experimentellen Studien zu toxischen Effekten von MNP wurden mit ökologisch unrealistischen, 103 – 109-fach höheren Dosen als in Feldstudien beobachtet, durchgeführt. Inwieweit eine kurze Applikation dieser hohen Konzentrationen die Wirkung in der Realität vorkommender, deutlich niedrigerer Mengen von MNP über andererseits längere Expositionszeit imitieren kann, ist völlig offen.
Ein direkter Zusammenhang zwischen MNP und kardiovaskulären Erkrankungen ist beim Menschen nicht belegt. Basierend auf präklinischen Ergebnissen wächst jedoch die Sorge, dass MNP ein kardiovaskulärer Risikofaktor beim Menschen sein könnte.
In Cohortenstudien fand sich bei Personen mit beruflicher Exposition zu Plastik-assoziierter Verschmutzung ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko im Vergleich zur Normalbevölkerung. Andere Risikokonstellationen, wie z.B. das Arbeiten im Schichtdienst konnten bei diesen retrospektiven Analysen aber nicht hinreichend berücksichtigt werden.
In humanen Herzmuskelzellen wurde MNP bisher nicht beschrieben. MNP kann jedoch auch in menschlichen Geweben, wie Leber-, Lungen- und Plazentaproben, in Brustmilch, im Urin, im Blut, in Perikardflüssigkeit sowie in Atheromen nachgewiesen werden. Die Größe der Partikel beeinflusst dabei die Möglichkeit, verschiedene Gewebe und Flüssigkeitsräume zu erreichen.
In einer prospektiven multizentrischen Observationsstudie wurden von 257 Patienten mit asymptomatischer hochgradiger (>70%) Stenose der A. carotis mittels Endarterektomie entfernte Carotisplaques auf Mikroplastik hin analysiert. Von 11 verschiedenen untersuchten Kunststofftypen wurde Polyethylen in Carotis-Plaques von 150 Patienten (58.4%) nachgewiesen und bei 31 dieser Patienten (12.1%) zusätzlich Polyvinylchlorid. Die Mehrzahl der Partikel hatte eine Größe < 200 nm und fand sich im extrazellulären Raum. Es ist unklar, warum in den Plaques andere in der Umwelt vorkommende Kunststoffarten nicht festgestellt wurden. Patienten, bei denen Mikroplastik in den Atheromen detektiert wurde, hatten nach Korrektur für etablierte kardiovaskuläre Risikofaktoren in einem Beobachtungszeitraum von 34 Monaten eine höhere Rate des vordefinierten primären Endpunkts aus Myokardinfarkt, Schlaganfall oder Tod als Patienten ohne Mikroplastik.
Diese Daten sind bemerkenswert, beweisen jedoch keinen kausalen Zusammenhang. Die Assoziation zwischen der Präsenz von MNP in Carotisplaques und kardiovaskulären Ereignissen oder Tod kann auch auf einer Exposition gegenüber anderen, bisher nicht erkannten Faktoren oder dem Gesundheitsstatus und Verhalten der Patienten beruhen.
MNP kann sich im kardiovaskulären System verteilen und anreichern. Unter - bisher jedoch realitätsfernen - experimentellen Bedingungen induziert MNP toxische Effekte an Herz und Gefäßen. Um eine potentielle Gesundheitsschädigung durch die stetig steigende MNP-Exposition beim Menschen abschätzen zu können, bedarf es weiterer detaillierter Studien mit realistischen Konzentrationen, verschiedenen Kunststofftypen und diverser Expositionsdauer/-art unter Berücksichtigung potentieller anderer Störfaktoren.