Von Dr.rer.nat. Julia Traub, BSc MSc, Leitende Diätologin, LKH-Univ. Klinikum Graz | Mag. Christoph Schwalb | med.ium 11+12/2024
Mangelernährung stellt ein weit verbreitetes und oft unterschätztes Problem im klinischen Alltag dar. Besonders betroffen sind Patient:innen mit chronischen Erkrankungen, geriatrische Patient:innen und Menschen mit akuten schweren Erkrankungen. Sie führt nicht nur zu einer Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustands, sondern erhöht auch das Risiko für Komplikationen wie Infektionen, verzögerte Wundheilung und längere Krankenhausaufenthalte.
Für Ärzt:innen ist die frühzeitige Erkennung und adäquate Behandlung von Mangelernährung entscheidend, um den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen. Dies erfordert eine strukturierte Diagnostik, die neben klinischen Untersuchungen auch spezifische Screening-Instrumente und Laboranalysen umfasst. Die Therapie richtet sich nach der Schwere und Ursache der Mangelernährung und reicht von diätetischen Maßnahmen bis hin zur enteralen oder parenteralen Ernährungstherapie.
In diesem Artikel werden praxisrelevante Ansätze zur Diagnostik und Therapie der Mangelernährung im geriatrischen Bereich vorgestellt, um eine evidenzbasierte und patientenorientierte Versorgung zu gewährleisten.
Formen der Mangelernährung
Unter Mangel- oder auch Fehlernährung wird grundsätzlich eine unzureichende Aufnahme an Energie und/oder Nährstoffen verstanden. Im klinischen Alltag können zwei Formen der Mangelernährung, unabhängig vom Ausgangsgewicht, beobachtet werden: die qualitative und die quantitative Mangelernährung. Bei der qualitativen Mangelernährung kommt es zu einem Defizit in der Nährstoffaufnahme, während bei der quantitativen Mangelernährung die Energieaufnahme eingeschränkt ist. Beide Formen werden durch Faktoren wie die Schwere der Erkrankung, Multimorbidität und Alter beeinflusst.
Risikomanagement/Früherkennung und Diagnostik
Ein effektives Risikomanagement ist entscheidend, um Mangelernährung frühzeitig zu erkennen und ihre negativen Folgen zu minimieren. Die systematische Früherkennung in Form eines Screenings beginnt bereits bei der Aufnahme in eine medizinische Einrichtung und sollte regelmäßig bei Risikopatient:innen wiederholt werden. Wesentliche Risikogruppen sind geriatrische Patien:innen, progredient chronisch Kranke, und Personen mit eingeschränkter Mobilität oder kognitiven Beeinträchtigungen.
Der Einsatz validierter Screening-Instrumente, wie das Grazer Mangelernährungsscreening (GMS), ermöglicht es, Risikopatient:innen frühzeitig zu identifizieren. Diese Tools basieren auf einfachen Parametern wie ungewolltem Gewichtsverlust, Body-Mass-Index (BMI) und klinischen Hinweisen auf eine eingeschränkte Nahrungsaufnahme. Ein strukturiertes Risikomanagement umfasst zudem die regelmäßige Schulung des medizinischen Personals und die interdisziplinäre Zusammenarbeit, um sowohl präventive Maßnahmen als auch gezielte therapeutische Interventionen rechtzeitig einzuleiten.
Sofern im Rahmen des Screenings ein positives Ergebnis für eine Mangelernährung oder ein Risiko vorliegt, sollte ein ausführliches Assessment angeschlossen werden. Als Basis können hier die GLIM-Kriterien genannt werden, welche die Diagnosestellung durch Beurteilung von phänotypischen und ätiologischen Kriterien wie anthropometrische und labordiagnostische Parameter oder die Nahrungsaufnahme oder Inflammation vornehmen. Auf Basis dieses Assessment wird in weiterer Folge die Planung, Umsetzung und Begleitung der notwendigen Interventionen in der Regel von Fachpersonen wie Diätolog:innen und Ernährungsmediziner durchgeführt.
Eine frühzeitige und umfassende Diagnostik ist entscheidend, um den Behandlungsbedarf geriatrischer, mangelernährter Patient:innen zu evaluieren und geeignete therapeutische Maßnahmen einzuleiten.
Therapie im klinischen Alltag
Die konkrete Umsetzung ernährungstherapeutischer Maßnahmen bei bestehender Mangelernährung sollte sich in der Praxis grundsätzlich an dem in der Abbildung 1 dargestellten Handlungsalgorithmus orientieren, wobei je nach Ausgangssituation unterschiedliche Interventionen notwendig sind. Im Vordergrund steht hier die orale Nahrungszufuhr. Bei Risiko einer zu geringen Zufuhr wird im Zuge eines Ess-/Trinkprotokolls die IST-Zufuhr erhoben und bei einem Defizit die nächsten Schritte eingeleitet. Dazu zählt die Adaptierung der vorliegenden Ernährungsweise basierend auf Vorlieben, Geschmack und Verträglichkeit der Patient:innen und bei Bedarf eine Konsistenzadaptierung. Im nächsten Schritt werden Speisen und Getränke mit Energie- und/oder Eiweißzulagen angereichert sowie eine energie- und eiweißdichte Lebensmittelauswahl, z. B. durch fettreiche Milchprodukte, energiereiche Getränke sowie gehaltvolle Zubereitungsarten, empfohlen. Zudem gibt es spezifische Supplemente wie Maltodextrin oder Proteinpulver, die zur Anpassung der Energie- und/oder Nährstoffzufuhr eingesetzt werden können. Wird trotz bisher gesetzter Maßnahmen keine bedarfsdeckende Ernährung erreicht, kommen additive Ernährungsformen wie Trinknahrungen zum Einsatz. Erst als letzte Konsequenz wird im multidisziplinären Team der Einsatz einer additiven oder ausschließlich enteralen und/oder parenteralen Ernährung in Betracht gezogen.
Das Vorliegen einer Mangelernährung stellt ein weit verbreitetes und oft unterschätztes Problem im klinischen Alltag von geriatrischen Patient:innen dar. Die frühzeitige Erkennung und adäquate Behandlung von Mangelernährung ist entscheidend, um den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen. Ein flächendeckendes Screening und bei positivem Ergebnis ein ausführliches Ernährungsassessment wird empfohlen, um die Ursachen des Mangelernährungsrisikos genauer evaluieren und entsprechende Ernährungsinterventionen einleiten zu können. Hierbei ist ein multidisziplinärer Therapieansatz unumgänglich, um die bestmögliche Patient:innenbetreuung in Bezug auf die Prävention bzw. Therapie der Mangelernährung sicherstellen zu können.
Von Univ.-Prof. Dr. Gerhard Wirnsberger
Malnutrition im Alter ist ein häufiges und ernstzunehmendes Gesundheitsproblem, das mit erhöhten Risiken für Morbidität und Mortalität verbunden ist. Durch altersbedingte physiologische Veränderungen wie ein zunehmender Eiweißbedarf bei nachlassender Proteineigensynthese, sensorische Einbußen wie ein Appetitverlust und Kauproblemen steigt die Anfälligkeit für Nährstoffdefizite.
Zusätzlich können Komorbiditäten und Polypharmazie die Resorption und den Stoffwechsel essentieller Nährstoffe negativ beeinflussen. Studien zeigen, dass bis zu 40 Prozent der über 65-Jährigen in klinischen und bis zu 80 Prozent in pflegerischen Einrichtungen Malnutrition-gefährdet sind.
Neben körperlichen Symptomen wie Gewichtsverlust, Muskelschwäche und erhöhter Infektanfälligkeit führt jede Mangelernährung unweigerlich zu einer Verschlechterung der Lebensqualität und einer Zunahme von Pflegebedürftigkeit. Eine adäquate Ernährungstherapie spielt dabei eine zentrale Rolle: individuell angepasste Diäten mit einer Erhöhung der Nährstoffdichte und eine bedarfsgerechte Supplementierung können die Versorgungslage verbessern. In dieser Hinsicht sind regelmäßig durchgeführte, standardisierte Ernährungsassessments wesentliche Maßnahmen in der Prävention einer Malnutrition im Alter.