Von Dr. Matthias Vavrovsky und Mag. Christoph Schwalb | med.ium 11+12/2024
Wie wird Künstliche Intelligenz (KI) die Zukunft der Medizin gestalten? Diese Frage bewegt derzeit Ärzt*innen, Patient*innen sowie Gesundheitsexpert*innen gleichermaßen. Zwischen faszinierenden Möglichkeiten und berechtigten Bedenken sucht die medizinische Fachwelt nach einem ausgewogenen Blick auf diese revolutionäre Technologie. Wo stehen wir in Österreich beim Thema KI im Gesundheitswesen? Welche Chancen könnten sich für eine verbesserte Patientenversorgung eröffnen, und welche Herausforderungen gilt es frühzeitig zu erkennen? Und nicht zuletzt: Wie könnte sich die Rolle der Ärzteschaft in einer zunehmend digitalisierten Medizin in Zukunft wandeln?
Diesen zentralen Fragen widmete sich die Veranstaltung „MEDIZIN PLUGGED IN: KI in der Medizin“ Mitte Oktober im Salzburger Restaurant Fuxn. Organisiert von der Ärztekammer Salzburg, brachte sie rund 130 Mediziner*innen zusammen – von Berufseinsteigenden bis zu erfahrenen Praktizierenden.
In einer Zeit, in der wir möglicherweise an der Schwelle zu bedeutenden Veränderungen stehen, wollten die Organisatoren Dr. Matthias Vavrovsky, Dr. Maximilian Krecu und Dr. Georg Hagn eine Plattform für einen vorausschauenden und konstruktiven Dialog schaffen. Ziel war es, sich frühzeitig mit den Potenzialen, aber auch den ethischen Fragen auseinanderzusetzen, die der Einsatz von KI in der Medizin aufwerfen könnte.
Den Auftakt machte Prof. (FH) Univ.-Doz. Mag. Dr. Stefan Wegenkittl, Studiengangsleiter für AI for Sustainable Technologies und Fachbereichsleiter Data Science & Analytics an der FH Salzburg. Er führte die Teilnehmenden in die Grundlagen der KI ein und erläuterte verschiedene Lernmethoden. Dabei gelang es ihm, die Brücke zwischen mathematischen und informatischen Grundlagen und deren medizinischen Anwendungsmöglichkeiten zu schlagen. Ein Schwerpunkt seines Vortrags lag auf den ethischen Herausforderungen im Umgang mit KI, wobei er besonders die Bedeutung hochwertiger Trainingsdaten und die Problematik möglicher Verzerrungen (Bias) hervorhob.
Anschließend präsentierte Dr. Georg Zimmermann, Leiter des Teams Biostatistics and Big Medical Data an der PMU und Universität Salzburg, konkrete KI-Anwendungen in der klinischen Praxis. Er fokussierte auf zwei Bereiche: die KI-gestützte Hautkrebserkennung in der Dermatologie und die Nutzung von KI zur EEG-Datenanalyse in der Neurologie. Dr. Zimmermann betonte die Notwendigkeit evidenzbasierter Medizin im KI-Kontext und unterstrich, dass KI als Unterstützungswerkzeug für medizinisches Fachpersonal zu verstehen sei, nicht als deren Ersatz.
Von der Theorie zur Praxis führte der Vortrag von a.o. Univ-Prof. Dr. Janne Cadamuro, KI-Beauftragter der Ärztlichen Direktion des Uniklinikums Salzburg und Leiter des Universitätsinstituts für Medizinisch-Chemische Labordiagnostik.
Er zeigte auf, wie KI bereits heute in der Administration und Diagnostik eingesetzt wird und wie sie helfen kann, die Effizienz von Labortests zu optimieren. Besonders interessant waren seine Ausführungen zu klinischen Entscheidungsunterstützungssystemen (CDSS) und zur Integration von KI in diagnostische Pfade. Cadamuros prägnantes Fazit: „Nicht KI wird die Medizinerinnen und Mediziner ersetzen, sondern jene, die KI verwenden, werden jene ersetzen, die es nicht tun.“
Den Abschluss der Vortragsreihe bildete Priv.-Doz. Dr. Franz Wiesbauer MPH, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie sowie CEO von Medmastery.
Er erörterte die Möglichkeiten und Grenzen von Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT in der Medizin. Dr. Wiesbauer betonte, dass die Qualität der Ergebnisse stark von der Präzision der Fragestellung abhängt und dass kritisches Denken sowie medizinisches Fachwissen weiterhin unerlässlich bleiben. Sein Fazit: LLMs sind wertvolle Unterstützungstools in den Händen kundiger und verantwortungsvoller Ärztinnen und Ärzte.
Die anschließende Umfrage und Diskussion machten deutlich, dass KI in der Medizin als leistungsfähiges Unterstützungswerkzeug wahrgenommen wird, insbesondere im Bereich der Datenanalyse und bei Routineaufgaben. Dieses Potenzial zur Entlastung wird von der Ärzteschaft klar erkannt und begrüßt. Gleichzeitig wurde unmissverständlich deutlich, dass die wahre ärztliche Kompetenz – bestehend aus klinischer Urteilskraft, der Fähigkeit, unter Unsicherheit Entscheidungen zu treffen, und empathischer Patientenbetreuung – als unersetzlich angesehen wird. Diese Kernkompetenzen bilden das Fundament des ärztlichen Handelns und können durch KI nicht ersetzt, sondern nur ergänzt werden.
Die zentrale Herausforderung für die Zukunft liegt darin, KI so in den medizinischen Alltag zu integrieren, dass sie diese Kernkompetenzen stärkt und unterstützt. Das Ziel muss sein, durch den gezielten Einsatz von KI mehr Zeit für die direkte Patientenversorgung und die Anwendung klinischer Erfahrung zu gewinnen. Dies erfordert nicht nur technologische Entwicklungen, sondern auch eine Anpassung der Arbeitsabläufe und der medizinischen Ausbildung.
Ein kritischer Aspekt, der sich durch die Diskussion zog, war die Notwendigkeit, KI-Ergebnisse kritisch zu interpretieren und verantwortungsvoll in ärztliche Entscheidungen einzubeziehen zu können. Ärztinnen und Ärzte sind nicht bereit, "Blackbox"-Lösungen zu akzeptieren, sondern wollen verstehen, wie KI zu ihren Empfehlungen kommt. Dies unterstreicht die Bedeutung einer fundierten Aus- und Weiterbildung im Bereich der KI für medizinisches Personal, um ein tiefes Verständnis für die Möglichkeiten und Grenzen dieser Technologie zu entwickeln.
Die Zukunft der Medizin wird zweifellos von einer balancierten Verbindung zwischen KI-Unterstützung und ärztlicher Expertise geprägt sein. Es liegt in der Verantwortung der Ärzteschaft, diese Entwicklung aktiv mitzugestalten. Nur so kann sichergestellt werden, dass KI zum Wohle der Patientinnen und Patienten eingesetzt wird und gleichzeitig zur Weiterentwicklung des ärztlichen Berufsstandes beiträgt.
Die Veranstaltung "MEDIZIN PLUGGED IN" hat gezeigt, dass die Ärzteschaft bereit ist, sich dieser Herausforderung zu stellen. Die offene Diskussion und das große Interesse, auch von jenen, die bisher wenig Berührungspunkte mit KI hatten, zeugen von der Bereitschaft, die Zukunft der Medizin aktiv mitzugestalten. Es wird entscheidend sein, diesen Dialog fortzuführen, um eine Medizin zu entwickeln, die das Beste aus beiden Welten vereint: die analytische Kraft der KI und die unersetzliche menschliche Kompetenz der Ärztinnen und Ärzte.
Dr.med.univ. Valerie Krückl, Turnusärztin in Basisausbildung, Salzburg:
Es ist ganz interessant, die Erfahrungen aus den verschiedenen Generationen zu hören, weil ich gerade am Berufsanfang stehe und vor allem die Sorge habe, dass man als Berufseinsteiger quasi weniger lernt, weil das Ganze durch Künstliche Intelligenz ersetzt wird. Dass man als junger Arzt die Grundlagen weniger lernt, weil einfach so viel übernommen wird und man sich gar nicht mehr damit auseinandersetzt. Die Diskussion hat mir ganz gut gefallen und generell waren es sehr interessante Vorträge.
Dr. med.univ. Simon Moser, Turnusarzt in Basisausbildung, Salzburg:
Ich finde solche Abende eine wahnsinnig tolle Möglichkeit, viel zu lernen, neue Inputs zu kriegen: Welche Möglichkeiten gibt es, was kommt auf uns zu und was kommt als nächstes? Und gleichzeitig ist aber auch der Austausch und das Kennenlernen für unseren Beruf enorm wichtig. Auf wissenschaftlicher Ebene habe ich regelmäßig Kontakt mit KI, mit Chatbots und Co. Auf tagtäglicher klinischer Seite verhältnismäßig wenig, weil es einfach durch Anonymisierung schwieriger umzusetzen und im klinischen Alltag weniger eingebettet ist. Ich würde mir wünschen, dass in dieser Richtung mehr kommt und das wird auch kommen.