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Leitartikel

(Kostendämpfungs-)Pfade in den Abgrund

Der Leitartikel aus dem Präsidium.

med.ium 3+4/2023 | 5.5.2023

Erinnerung neigt dazu, Vergangenes zu verklären. Aber dennoch glaube ich mich nicht selbstgetäuscht, wenn ich mich in keinem Abschnitt meiner ärztlichen Tätigkeit – inzwischen über 40 Jahre – je an ein Gefühl von so viel Ungewissheiten und leider auch Planlosigkeit erinnere. Qualität, Wirksamkeit und Vielfalt der Pharmaka waren zwar nie grösser als heute, aber systemischen, flächendeckenden Mangel hat es nie gegeben. Personalmangel bei Ärzteschaft und Pflege in den Krankenhäusern war nicht zuletzt auf Grund der rasch wachsenden Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems in wechselndem Ausmaß immer präsent, aber versorgungsrelevante Schließungen ganzer Stationen und OP-Bereiche hat es nie gegeben. Reihungsrichtlinien für Kassenstellenbewerbungen waren Gegenstand heftiger standespolitscher Diskussionen und die Anzahl der BewerberInnen auf den Wartelisten nicht selten zweistellig.

Wie anders ist die Situation heute! Es sind nur wenige Beispiele für diese „Andersartigkeit“. Ihre Ursachen sind naturgemäß unterschiedlich, vielfältig, komplex und mit vielen anderen Entwicklungen unserer Gesellschaft verwoben. Aber eines haben sie gemeinsam – man konnte sie erahnen, man konnte sie prognostizieren und man konnte wissen, dass man gegen die Wand fahren wird. Demographische Entwicklungen sind grundsätzlich über Jahrzehnte absehbar und Märkte, die man sich selbst überlässt, optimieren sich nach verschiedenen Marktkriterien – Versorgungssicherheit ist offensichtlich keines davon. Aber auch das konnte man wissen.

Natürlich sind dies Folgen von politischen Fehlentscheidungen und Versäumnissen des letzten Jahrzehnts. Wer das Gesundheitswesen vornehmlich als Kostenfaktorsieht, wird gerne „Kostendämpfungspfade“ gehen. Und an den „Aussichtspunkten“ dieser Pfade kann man ein verdämmerndes soziales System sehen.

Vielleicht sollten sich deshalb die heutigen politischen Entscheidungsträger an ihren Vorgängern orientieren. Denn in der oben skizzierten Vergangenheit waren Politiker stolz auf ihre Krankenhäuser und die kassenärztliche Versorgung, auf den Ausbau der Leistungen und auf das hier tätige Personal. Geld hat natürlich immer eine Rolle gespielt, aber der steile Anstieg der derzeitigen Pensionierungswelle ist das Ergebnis damaliger Investitionen. Wenn wir unser Gesundheitssystem weiterentwickeln wollen, wird es unzweifelhaft mehr Geld brauchen. Dies ist ein nicht verhandelbarer Anspruch der Bevölkerung in diesem Land und derer, die mit ihren Leistungen dieses Gesundheitssystem tragen.

Mit kollegialen Grüßen

Ihr Dr. Karl Forstner

Präsident der Ärztekammer für Salzburg