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Medizin in Salzburg

Hitze und Infektionskrankheiten

Die Erderwärmung führt zu Hitzewellen und auch zu Veränderungen bei Infektionskrankheiten. Beides macht nicht nur älteren Menschen zu schaffen. Experten erklären, worauf man achten sollte. Aus unserer Serie "Umweltmedizin: Klimawandel & Gesundheit"

Von Dr.med.univ. Johanna Schauer-Berg, MPH – Umweltreferentin der Ärztekammer Salzburg, Institut für Allgemein-, Familien- und Präventivmedizin, PMU Salzburg | Mag. Christoph Schwalb | med.ium 5+6/2023 | 29.6.2023


Interview Dr. med. Christian Gruber

med.ium: Der Klimawandel hat zahlreiche direkte und indirekte Gesundheitsfolgen – Wie wirkt er sich auf Infektionskrankheiten aus?

Dr. med. Christian Gruber: Wie bei anderen medizinischen Problemen in Zusammenhang mit dem sich ändernden Weltklima betreffen Veränderungen im Kontext Klima und Infektionskrankheiten vorwiegend tropische und subtropische Weltgegenden. Hinsichtlich der Zunahme von Infektionskrankheiten wirken sich vor allem eine Zunahme von Temperatur und Niederschlägen aus. Dabei kommt in der globalen Infektionsepidemiologie den vektorassoziierten Infektionskrankheiten eine besondere Bedeutung zu, gehören sie ja schon jetzt zu den häufigsten tropischen Krankheiten weltweit. Änderungen verschiedener Klima-Parameter im komplexen Zusammenspiel von Erreger und Wirt sowie von Vektor und Reservoir lassen eine Zunahme von Infektionen erwarten. Am Beispiel der Malaria verkürzt sich die extrinsische Inkubationszeit der Malaria-Sporozoiten in der Anopheles-Mücke mit höherer Temperatur, die Stechmücke selbst kann sich schneller entwickeln, sie wird ein noch besserer Vektor.

Temperaturabhängig nimmt die geographische Verbreitung zu, auch in vertikaler Sicht, Malaria kann in höhergelegenen Gebieten akquiriert werden. Dabei sollten neben Klimafaktoren sozioökonomische Parameter mit begrenzten Ressourcen in überlasteten Gesundheitssystemen des globalen Südens, individuelle Abwehrkräfte der dort lebenden Menschen, Migrationsbewegungen aufgrund klimabedingter Notwendigkeiten u.v.m. mitbedacht werden. 

med.ium: Welche Veränderungen bei den Infektionskrankheiten und Vektoren sind in Österreich von besonderer Bedeutung?

Dr. Gruber: Aus europäischer und österreichischer Sicht stellt sich die Frage, wie sich Klima und Infektionsrisiken hier auswirken. Eine erneute Etablierung der Malaria in Europa als relevante Erkrankung, trotz geeigneter Vektoren, wird nicht erwartet. Vereinzelte autochthone Malariafälle durch Plasmodium vivax gibt es ja – fünf Fälle europaweit in Frankreich und Griechenland im Jahr 2020 (bei 2372 gemeldeten importierten Malariafällen in Europa, 28 in Österreich). Auch andere vektorübertragene Infektionskrankheiten scheinen in Europa als autochthon erworbene Krankheiten möglich, aber Raritäten zu sein. Dazu gehören bei den Virusinfektionen Dengue-Viren, Chikungunya-Viren und West-Nil-Viren.

Vektoren zur Übertragung in Form von Stechmücken der Gattungen Aedes, Anopheles, Culex u.a. nehmen in Europa zu, bei passenden Temperaturen über längere Zeiträume sind somit Infektionen möglich. In der Praxis sollte aber vor allem bei Reiserückkehrern, aber auch Migranten, an importierte Infektionskrankheiten gedacht werden.

Eine besonders in Österreich wichtige Gruppe von Vektoren/gleichzeitig Reservoir sind Schildzecken, Überträger von FSME-Viren und Borrelien, sehr selten Ehrlichien, Anaplasmen und Rickettsien. Wie bei anderen Vektoren konnte auch hier ein Einfluss klimatischer Faktoren hinsichtlich Dauer der saisonalen Zeckenaktivität sowie geographischer Verbreitung inklusive höherer Lagen festgestellt werden. Seit 2000 kommt es im Wesentlichen zu einer kontinuierlichen Zunahme an FSMEInfektionen, im Jahr 2022 wurden 204 Fälle gemeldet. Da bei ca. fünf bis 15 Prozent der Patienten eine Meningoenzephalitis als Zweitkrankheit auftritt, und ein Prozent dieser Patienten auch verstirbt, sollte an die bestens schützende Impfung gedacht werden. Da mit einer Borrelien-Infektion eine zweite, häufige Infektion nach einem Stich auftreten kann, sollte ein gute Expositionsprophylaxe trotz Impfung durchgeführt werden. Eine Borrelien-Infektion kann in der Regel im Frühstadium (Erythema migrans) problemlos antibiotisch behandelt werden. 

med.ium: Für welche klimasensiblen Erkrankungen besteht eine Meldepflicht?

Dr. Gruber: Für die meisten der oben erwähnten Krankheiten besteht eine Meldepflicht.

Interview mit Dr. Arno Lechner

med.ium: Der Klimawandel hat zahlreiche direkte und indirekte Gesundheitsfolgen – Wie wirkt er sich auf Infektionskrankheiten aus?

Dr. Arno Lechner: Der Klimawandel beinhaltet Änderungen von ein oder mehreren klimatischen Variablen wie Temperatur, Niederschlag, Wind, Sonnenschein u.a.. Diese Veränderungen beeinflussen Reproduktion, Verteilung und Überleben von Pathogenen und Anfälligkeit potentieller Wirte wie der Mensch sowie das Umfeld, in der Krankheitsübertragungen zustande kommen. Die Effekte in Bezug auf Infektionskrankheiten treten als Änderung ihres geografischen und saisonalen Auftretens in Erscheinung und sind u.a. an Häufigkeit und Schweregrad von Ausbrüchen ablesbar. Auch klimawandelbedingte Migration trägt zu einer Verbreiterung des Spektrums an Infektionskrankheiten bei.

Dr. Lechner: Von der Vielzahl globaler, klimabedingter Veränderungen von Infektionskrankheiten seien nur folgende drei Beispiele erwähnt:

  • Die Zeitspanne zwischen Aufnahme des Erregers der Malaria tropica, Plasmodium falciparum, und dem Auftreten von Krankheitszeichen verkürzt sich bei Anstieg der Tagesdurchschnittstemperatur von 5°C um knapp 2 Wochen. Durch das raschere Auftreten von Gametozyten im erkrankten Menschen beschleunigt sich der gesamte Reproduktionszyklus dieses Malariaerregers, was wiederum zur Erhöhung der Inzidenz von Malaria tropica beitragen kann. (Bunyavanich S, et al, Ambul Pediatr, 2003)
  • Die Reproduktionsgeschwindigkeit von Dirofilarien, dem parasitären Erreger der zunehmend häufigeren Dirofilariose, nimmt von mitteleuropäischen klimatischen Verhältnissen zu südeuropäischen  um das 10-fache zu. (Genchi C, et al, Veterinary Parasitology, 2009); die Inzidenz in Österreich ist noch gering, aber ebenfalls zunehmend. (Riebenbauer K, et al, Parasit Vectors, 2002)
  • Aedes aegypti, eine Stechmücke, die Dengue-Virus, Chikungunya-Virus und Zika-Virus überträgt, breitet sich kontinuierlich von Südeuropa nach Mitteleuropa, auch nach Österreich aus. Damit  muss auch außerhalb von Fernreisen mit autochthonen Infektionsfällen gerechnet werden.

med.ium: Welche Veränderungen bei den Infektionskrankheiten und Vektoren sind in Österreich von besonderer Bedeutung?

Dr. Lechner: Sowohl Borreliose als auch FSME werden durch klimawandelbedingt günstigere Lebensbedingungen für Zecken gefördert. (Jenkins VA, Ticks Tick Borne Dis, 2022)

Im Jahr 2018 kam es in Österreich im Vergleich zu vorhergehenden Jahren zu gehäuften Erfassungen von West Nil-Virus-Infektionen, davon 15 Fälle mit klinischer Symptomatik. In erster Linie waren der Raum Wien, Niederösterreich und Burgenland betroffen. Klimabedingte Einflüsse sind sowohl auf der Ebene veränderter Migration von Vögeln als Hauptreservoir als auch des Vorkommens verschiedener Stechmückenarten als Hauptüberträger möglich.

2022 wurde der erste Fall einer respiratorischen Diphtherie in Österreich seit 1994 beschrieben, insgesamt im vergangenen Jahr 62, vorwiegend kutane Fälle. Im vergangenen Jahr wurden in Salzburg/ Umgebung 21 Fälle von migrationsbedingter Diphtherie gemeldet.

med.ium: Für welche klimasensiblen Erkrankungen besteht eine Meldepflicht?

Dr. Lechner: Chikungunya- Fieber, Cholera, Dengue-Fieber, Gelbfieber, Hantavirus-Infektion, Leptospirose, Malaria, hämorrhagisches Fieber, West-Nil-Fieber und Zika-Virus-Infektionen.

Factbox Hitze:

  • Unter den direkten Gesundheitsfolgen des Klimawandels ist die Zunahme der Hitzebelastung in Salzburg am bedeutendsten, insbesondere aufgrund der demographischen Veränderungen.(1)
  • Regionen mit dem größten Risiko: Zentralraum Salzburg (Flachgau, Stadt Salzburg und Teile des Tennengau) sowie die Tallagen des Innergebirges.(2)
  • Für Salzburg ist eine Zunahme der Sterblichkeit während Hitzewellen anzunehmen.(1)
  • Aktuell gibt es keine allgemein einheitliche Definition von „Hitzewelle“. Lt. WMO/WHO wird sie als eine Periode von mind. 2 Tagen oder mehr mit extremer Tages- und Nachttemperatur (>95. Perzentile lokale Temperatur) definiert.(3)
  • Besonders vulnerable Patienten: Ältere Menschen, Säuglinge und Kleinkinder, Schwangere, Patienten mit chronischen Erkrankungen, im Freien arbeitende Menschen, Sportler, sozioökonomisch benachteiligte Patienten.(4)
  • Einige Medikamente sind Hitzevulnerabel (z. B. Insulin, div. Dosieraerosole, Hormonpräperate). Bei unsachgemäßer Lagerung oder Transport kann es zu Wirkveränderungen kommen.
  • Hitzeexposition kann bei transdermalen Pflastern zu einer verstärkten Wirkstofffreisetzung führen.(5)

Ergänzende Leseempfehlung:

Solvejg Hoffmann: "Warum Arzneimittel jetzt leicht ihre Wirkung verlieren können"

Literatur/Quellen:

1 Land Salzburg | Abteilung 5 Natur- und Umweltschutz, Strategie zur Anpassung an den Klimawandel in Salzburg (Hrsg.) Erster Fortschrittsbericht der Arbeitsgruppe „Klimawandelanpassung“. April 2022
2 Land Salzburg | Abteilung 5 Natur- und Umweltschutz, Strategie zur Anpassung an den Klimawandel in Salzburg (Hrsg.) Strategie zur Anpassung an den Klimawandel in Salzburg 2050. Mai 2017
3 World Meteorological Organization and World Health Organization, Heatwaves and Health: Guidance on Warning-System Development. 2015, ISBN 978-92-63-11142-5
4 https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/climate-change-heat-and-health [31.05.2023]
5 Hao J, Ghosh P, Li SK, Newman B, Kasting GB, Raney SG. Heat effects on drug delivery across human skin. Expert Opin Drug Deliv. 2016;13(5):755-68. doi: 10.1517/17425247.2016.1136286. Epub 2016 Jan 25. PMID: 26808472; PMCID: PMC4841791.

Factbox Infektionskrankheiten:

  • Von 375 bekannten infektiösen Erkrankungen wurden lt. Mora C. et al. 58% durch klimatische Veränderungen (Hitze, Überflutungen, Dürren etc.) negativ beeinflusst. Nur bei 16% der eingeschlossenen Erkrankungen zeigten sich positive Auswirkungen (z. B. Abnahme der Prävalenz von Malaria bei Dürreperioden durch Reduktion der Brutstätten).
  • Es sind verschiedenste Expositionswege betroffen:
    • Vektor übertragene Erkrankungen (BSP. Ausbreitung von Stechmücken Arten aufgrund milderer Winter)(6)
    • Wasser übertragene Erkrankungen (BSP. Vibrio spp. Infektionen in Deutschland durch in erwärmenden Gewässern(7), Norovirenerkrankungen nach Überflutungen(6))
    • Über Nahrungsmittel übertragene Erkrankungen (BSP. Salmonellose(6))
    • Aerogene Infektionen (BSP. Coccidioidomycosen in den USA nach Dürre gefolgt von starken Regenfällen(6))

Ergänzende Leseempfehlung:

Mora C, McKenzie T, Gaw IM, Dean JM, von Hammerstein H, Knudson TA, Setter RO, Smith CZ, Webster KM, Patz JA, Franklin EC. Over half of known human pathogenic diseases can be aggravated by climate change. Nat Clim Chang. 2022;12(9):869-875. doi: 10.1038/s41558-022-01426-1. Epub 2022 Aug 8. PMID: 35968032; PMCID: PMC9362357.

Literatur/Quellen:

6 Mora C, McKenzie T, Gaw IM, Dean JM, von Hammerstein H, Knudson TA, Setter RO, Smith CZ, Webster KM, Patz JA, Franklin EC. Over half of known human pathogenic diseases can be aggravated by climate change. Nat Clim Chang. 2022;12(9):869-875. doi: 10.1038/s41558-022-01426-1. Epub 2022 Aug 8. PMID: 35968032; PMCID: PMC9362357.

7 Brehm TT, Berneking L, Sena Martins M, Dupke S, Jacob D, Drechsel O, Bohnert J, Becker K, Kramer A, Christner M, Aepfelbacher M, Schmiedel S, Rohde H; German Vibrio Study Group. Heatwave-associated Vibrio infections in Germany, 2018 and 2019. Euro Surveill. 2021 Oct;26(41):2002041. doi: 10.2807/1560-7917.ES.2021.26.41.2002041. PMID: 34651572; PMCID: PMC8518310.

Interview mit Prim. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Iglseder

med.ium: Aufgrund des Klimawandels ist eine Zunahme der Frequenz und Intensität von Hitzewellen zu erwarten. Welche gesundheitlichen Folgen hat Hitze?

Prof. Dr. Bernhard Iglseder: Hohe Temperaturen führen dazu, dass der Körper vermehrt Wärme abführen muss, um nicht zu überhitzen. Die Haut produziert Schweiß, die Verdunstungskälte trägt zur Kühlung bei und die Blutgefäße der Haut erweitern sich, um Wärme nach außen zu leiten (Konvektion). Durch diese Gefäßerweiterung kann der Blutdruck sinken, daher fällt in einer warmen Umgebung der Blutdruckabfall durch einen Wechsel vom Liegen zum Stehen ausgeprägter als bei kühleren Temperaturen aus. Sinkt der Blutdruck stark ab, treten Beschwerden wie Schwindel, Müdigkeit oder auch Übelkeit auf. Dies führt an heißen Tagen zu einem vermehrten Aufkommen von Schwächeanfällen, Stürzen oder Ohnmacht. Besonders gefährdet sind naturgemäß Menschen, die ohnehin einen niedrigen Blutdruck haben. Auch Patient*innen mit medikamentös kontrollierter Hypertonie können bei hohen Temperaturen Kreislaufprobleme bekommen: Es ist besonders wichtig, in Hitzeperioden den Blutdruck regelmäßig zu überwachen, um ein eventuelles Absinken zu erkennen – eine Anpassung der Antihypertensiva-Dosis nach ärztlicher Rücksprache kann sinnvoll sein.

Neben dem Blutdruck kann an Hitzetagen auch der Flüssigkeitshaushalt aus dem Gleichgewicht geraten, da durch das Schwitzen neben Flüssigkeit auch Elektrolyte verloren gehen. Der Flüssigkeitsmangel kann zu Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Bewusstseinstrübungen und Krampfanfällen führen. Verschiedene Publikationen zeigen, dass an besonders heißen Tagen die Sterblichkeit zunimmt: An Hitzetagen mit mehr als 30°C steigt die Sterbequote um etwa zehn Prozent und die Zahl der Krankenhauseinlieferungen um etwa fünf Prozent. Dieser Effekt nimmt zu, wenn mehrere Hitzetage aufeinander folgen.

med.ium: Warum sind ältere Patient*innen besonders vulnerabel?

Prof. Dr. Iglseder: Bei alten Menschen ist das Durstempfinden häufig gestört, zudem kann die Flüssigkeitsaufnahme im Rahmen einer Schluckstörung beeinträchtigt sein. Daher ist die Gefahr, einen Flüssigkeitsmangel (Exsikkose) zu erleiden, deutlich erhöht. Sind entwässernde Substanzen (Diuretika) mit im Spiel, kann der Wasser- und Salzverlust zusätzlich gesteigert sein, was eventuell eine Dosisanpassung erforderlich macht. Physiologischerweise führen altersassoziierte Veränderungen im Renin-Angiotensin-Aldosteron-System zu einer Prädisposition zur Natriurese und damit zum Salzverlust, ebenso zu einer erhöhten Diurese.

Ein besonders hohes Exsikkose-Risiko besteht, wenn alte Patient*innen zusätzlich zur Hitze weitere Erkrankungen entwickeln: Infektionen, z. B. Pneumonien oder Harnwegsinfekte. Viele alte Menschen trinken weniger als einen Liter pro Tag, an Hitzetagen kann daher rasch ein ausgeprägter Flüssigkeitsmangel mit den oben genannten Symptomen auftreten. Die ebenfalls bereits angeführten Auswirkungen auf die Blutdruckregulation sind bei alten Menschen durch den Elastizitätsverlust von Gefäßsystem und Myokard besonders ausgeprägt. Erkrankungen mit Beeinträchtigung des autonomen Nervensystems (Polyneuropathie – z. B. bei Diabetes, Parkinson-Erkrankung) können eine derartige Symptomatik ebenfalls verstärken.