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Hilfe von oben

Allgemeinmediziner und Notarzt Dr. Alexander Franz rettet aus der Luft Menschenleben. Er erzählt, wie der Einsatzalltag eines Flugrettungsarztes an Bord des Rettungshubschraubers aussieht.

Von Mag. Christoph Schwalb | med.ium 5+6/2023 | 29.6.2023

Einmal im Monat hebt Dr. Alexander Franz ab. Vom Stützpunkt am Flugplatz in Zell am See aus fliegen der freiberufliche Notarzt und sein Team mit dem Rettungshubschrauber zu den unterschiedlichsten
Einsätzen.

Seit 33 Jahren arbeitet Dr. Franz in der Notfallrettung und hat schon über 6000 Einsätze als Notarzt begleitet. Angefangen hat er als Sanitäter und ist 2005 als hauptberuflicher Notarzt zur Flugrettung gekommen, wo er bis heute in mehr als 1300 Fällen als Flugrettungsarzt tätig war.

Das Spektakulärste, was er dabei in den letzten eineinhalb Jahren erlebt hat, war die Frühgeburt eines Kindes in der 25. Schwangerschaftswoche, bei der es ihm gelungen ist, dass das kleine Mädchen heil auf die Welt gekommen ist.

Die Besatzung besteht generell aus drei Personen: Pilot, Flugrettungsarzt (Notarzt) und Flugretter (Rettungssanitäter). Der Flugretter hat meist den schwierigsten Job an Bord, da er der Assistent von Pilot und Notarzt gleichzeitig ist. Gerade jedoch im alpinen Gelände, etwa bei einer Bergung aus der Luft, ist der Flugretter der Spezialist. Nach dem Sanitäter-Gesetz muss der Flugretter eine Ausbildung zum Notfallsanitäter absolviert haben, legt Dr. Franz dar. Bei den Flugrettungsbetreibern macht er dann zusätzlich noch spezielle Kurse im Bergungsbereich. Bei einem jährlichen „Proficiency-Check“ müssen die Flugretter – einige unter ihnen sind auch Bergführer – zeigen, dass sie alle Verfahren beherrschen.

Der klassische Einsatztag von Flugrettungsarzt Dr. Franz beginnt um sieben Uhr in der Früh am Stützpunkt des Notarzthubschraubers und dauert bis knapp nach Sonnenuntergang. Manche  Hubschrauberstützpunkte in Österreich fliegen auch in der Nacht. Sein primärer Einsatzrayon umfasst alle Gebiete, die im Umkreis von maximal 15 Flugminuten liegen, dahinter beginnt der nächste. Die Rayons überschneiden sich, so dass das Team auch grenzüberschreitend nach Deutschland und in die anderen österreichischen Bundesländer fliegt.

In der Regel bekommt jener Hubschrauber den Auftrag, der am schnellsten am Einsatzort ist, auch aus finanziellen Gründen, denn eine Flugstunde ist teuer. „Wenn ich den Hubschrauber nehme, der höchstens 10 Minuten braucht, ist das billiger, als wenn ich jenen nehme, der 15 Minuten entfernt ist, erklärt Dr. Franz. Doch manche Patienten fliegen sie auch weiter weg. „Einen Schwerverbrannten können wir leider nicht nach Salzburg bringen, den fliegen wir nach Linz. Das sind circa 140 Kilometer oder 25 Flugminuten“, so Dr. Franz.

Solange der Hubschrauber in der Luft ist, ist er im Vorteil

Die großen Vorteile des Rettungshubschraubers: erstens kommt man mit ihm dorthin, wo man mit dem Rettungswagen (RTW) nicht hinkommt. Laut Dr. Franz sind die Hubschrauber in Österreich so ausgelegt, dass sie überall im Land hinkommen, selbst auf den Großglockner. Und zweitens kann er Distanzen rasch und geradlinig bewältigen.

Doch es gibt auch Nachteile: neben Wetter und Logistik ist der Hubschrauber nur im Vorteil, wenn er fliegt. Im Gegensatz zum RTW kann er meist nicht vor der Haustür stehenbleiben. Er braucht Platz zum Landen. Und auch vor einem Krankenhaus ist man mit ihm auf personelle Hilfe zum Ausladen des Patienten angewiesen. „Ich kann mich an viele Einsätze erinnern, wo wir den Patienten an den Zielort gebracht
haben, auf einem Feld landen mussten und ihn anschließend weiter mit dem RTW ins Krankenhaus gebracht haben, weil wir nicht weiterfliegen konnten“, beschreibt Dr. Franz die Grenzen der Flugrettung.

„Der vermeintliche Zeitvorteil beim Transport mit dem Hubschrauber ist relativ und nur dann gegeben, wenn er fliegt. Die beengten Platzverhältnisse und die geringe Personalstärke machen es nicht leichter. In manchen Krankenhäusern, wie zum Beispiel der Christian-Doppler-Klinik, sind wir auf einen Krankenwagen angewiesen, der uns samt Patienten am Außenlandeplatz abholt“, schildert Dr. Franz.

Interessanterweise gibt es in Österreich – im Gegensatz zu Deutschland – keine Bedarfserhebung für Rettungshubschraubereinsätze. Das hat zur Folge, dass Österreich die höchste Dichte an Rettungshubschraubern weltweit aufweist. „Es gibt kein Land auf der Welt, das mehr Rettungshubschrauber pro Einwohner hat als Österreich. Im Großraum London etwa gibt es einen Hubschrauber für rund 10 Millionen Menschen. Allein im Land Salzburg haben wir im Winter vier bis fünf Rettungshubschrauber zur Verfügung stehen“, erklärt der Flugrettungsarzt.

Seines Erachtens kann die Flugrettung aufgrund ihrer sehr guten Organisation unbestritten sehr viel. Doch oft wird sie zu sehr hochgejubelt, denn das beste Rettungsmittel ist sie nicht. Vielmehr ist es ein Miteinander: Die Flugrettung deckt die Berge ab, wohin man sonst stundenlang marschieren müsste. Auch die Bergrettung ist wichtig. „Wir hatten letztens einen Einsatz, wo es schon finster wurde, und der Hubschrauber die Bergretter nur noch so weit wie möglich hoch auf den Berg bringen konnte, damit sie einen kürzeren Zustieg hatten. Das Wetter und Dunkelheit spielten gegen den Hubschrauber, so dass wir nur noch die Bergretter absetzen konnten und wieder  zurückfliegen mussten. Die Bergretter schließlich brachten den Patienten runter ins Tal.“, erzählt Dr. Franz.

„Der vermeintliche Zeitvorteil beim Transport mit dem Hubschrauber ist relativ und nur dann gegeben, wenn er fliegt. Die beengten Platzverhältnisse und die geringe Personalstärke machen es nicht leichter.“

Er plädiert auch dafür, dass sich das Flugrettungsteam auf seine Aufgaben konzentriert. Denn wenn die Gesellschaft ein System wünsche, das sehr rasch reagiert und hoch verfügbar ist und in dem der Rettungshubschrauber zu 97 Prozent zur Verfügung stehen soll, dann können die Flugretter während ihres Dienstes nicht noch anderweitig arbeiten, so Dr. Franz. Die Haupttätigkeit heißt, auf den Einsatz zu warten – eben um im Notfall schnell am Einsatzort sein zu können. Laut Dr. Franz sei das auch den meisten Ärzten nicht bewusst: „Eine sinnvolle Beschäftigung mit anderen Themen, außer mit administrativen Dingen, ist in dieser Zeit nicht möglich, wenn wir schnell beim Patienten sein sollen.“ Er kenne Systeme, in denen Notärzte nebenbei im Krankenhaus mitarbeiteten, wo dann aber Patienten des Krankenhauses mehrere Stunden zum Beispiel auf ihre Entlassungen warteten, weil sich der behandelnde Arzt just bei einem Notfalleinsatz befindet, so der Flugrettungsarzt.

„Ich kenne Systeme, wo Notärzte im Krankenhaus mitarbeiten. Aber da wartet dann ein Patient halt zwei Stunden auf seine Entlassung, weil der ihn entlassende Arzt sich bei einem Notfalleinsatz befindet. Das ist die andere Seite der Medaille.“

Insbesondere was die Kommunikation und Koordination an Bord anbelangt, ist das Flugrettungsteam perfekt eingespielt. Die Flugretter sind vom ÖAMTC im sogenannten Crew Ressource Management (CRM) geschult worden, Vorschläge aber auch Einwände so abzuwägen, dass sie stets gemeinsam entscheiden. Auch hinsichtlich etwaiger Fehlervermeidung erbringen sie so als Team die beste Leistung.

Laut Flugrettungsarzt Dr. Franz ist das Team nur gemeinsam schlagkräftig: „Als Notarzt überlege ich mir eine Strategie für den Patienten, teile sie den anderen mit und diese sagen mir, ob sie einen Einwand haben. Das ist aber nicht gleichzusetzen mit einer Erlaubnis. Wenn alle drei einverstanden sind, ist das die beste Variante. Wenn zwei gegen einen sind, muss man den Einwand oder die Entscheidung solange bearbeiten, bis alle drei einverstanden sind. Dieses System funktioniert wirklich gut. So ein Gespräch dauert maximal zehn bis 15 Sekunden, bis man sich einig ist. Und man spart auch wertvolle Zeit, wenn man zum Beispiel seinen Kollegen schon vorab instruiert, welche Utensilien man am Unfallort brauchen wird, so dass dieser sie gleich zum Patienten mitnehmen kann. Das zu üben ist sehr wichtig für die Medizin. Die richtige Kommunikation unter den handelnden Personen ist unbedingt nötig, gerade in der Medizin! Tatsächlich gäbe es hier noch viel Verbesserungspotenzial.“

Generell gilt an Bord auch, dass der fliegerische Aspekt einen Einfluss auf die Medizin hat und der medizinische Aspekt einen Einfluss auf den Flug des Rettungshubschraubers. Es ist also nicht so, dass der Pilot nur fliegerisch entscheidet und der Arzt nur medizinisch.

Dr. Franz veranschaulicht das an einem simplen Beispiel: „Das Wetter ist schlecht, es wird finster, der Pilot sagt ,Leute, ich kann euch nur fünf Minuten geben!‘. Dann hat das auch Auswirkung auf die  medizinische Vorgehensweise, weil ich ganz genau überlegen muss, was ich in dieser Zeit mit dem Patienten mache. Wenn mir diese fünf Minuten für den Patienten nicht reichen, dann weiß ich gleichzeitig, dass ich einen Rettungswagen für den Weitertransport anfordern muss. Das kann im Lungau in der Nacht dann länger dauern, bis ich ins Krankenhaus nach Salzburg komme, als wenn ich mit dem Hubschrauber geflogen wäre. Bevor ich den Patienten gesehen habe, nehmen solche Gegebenheiten schon Einfluss auf den ganzen Einsatz und dessen Organisation. Der Pilot kann mir nichts anschaffen, er gibt mir lediglich eine Information, doch mit dieser Information muss ich arbeiten. Wenn man miteinander offen kommuniziert, kann man sehr gute Leistungen erzielen.“ 

Meistens haben die Piloten keine notfallmedizinische Ausbildung, allerdings lernen sie im Fach „Human Performance Lehre“ Inhalte über Anatomie und Physiologie. Umgekehrt können die Flugretter (Notarzt und
Sanitäter) zwar nicht fliegen, aber sie besitzen umfassende Kenntnis über den Hubschrauber und dessen Ausstattung. In dreitägigen Lehrgängen lernen die Notärzte, wie man viele Dinge im Cockpit bedient und im Flugnotfall agiert, etwa das Triebwerk auszuschalten und einen Notruf zu funken. Diese Einschulungen sind gesetzlich vorgegeben und müssen jährlich wiederholt werden.

Kritisch sieht Flugrettungsarzt Dr. Franz die generelle Entwicklung in den letzten zehn Jahren. Mangels Kenntnis der Anforderer und auch versorgenden Ärzten kommt es immer häufiger vor, dass sein Team und er zu Einsätzen gerufen werden, die genaugenommen keine Notarztindikation aufweisen.

„Einsätze dieser Art haben in den letzten zehn Jahren massiv zugenommen. Akute Schmerzen ohne Zusatzsymptome sind meines Erachtens keine Notarztindikation.“

Wenn ein Patient ohne Notfallindikation mitten in der Nacht bei der Rettung etwa wegen Rückenschmerzen anruft – die der Hausarzt oder die Hausärztin besser behandeln könnte –, kümmern sich statt eines (eigentlich zuständigen) praktischen Arztes plötzlich bis zu zehn Menschen (Notarzt, Rettungssanitäter, Krankenhauspersonal) um ihn, stellt Dr. Franz klar. Dadurch seien wichtige Ressourcen für echte Notfälle unnötig belegt. Den Menschen das klarzumachen, ist dem Notarzt wichtig: „Das ist alles andere als effizient. Wir haben momentan einen Ärztemängel und gleichzeitig eine Verschärfung der Versorgungssituation.“ Damit der Rettungshubschrauber nur dann abhebt, wenn er auch wirklich gebraucht wird.

Fotos: Der Alltag eines Flugrettungsarztes

Interview

med.ium: Hubschrauberflüge bei Schlechtwetter oder Wind sind mit einem erhöhten Absturzrisiko verbunden, Bergungen in unwegsamem Gelände kompliziert und Patienten befinden sich oft in lebensbedrohlichen Situationen – wenige Minuten können über Leben und Tod entscheiden. Was motiviert Sie, als Flugretter unterwegs zu sein? 

Dr. Alexander Franz: Die Motivation ist die Zusammenarbeit in einem professionellen Team, bestehend aus Pilot, Flugrettungsarzt (Notarzt) und Flugretter sowie der gesamten Organisation, die dahintersteckt und von außen nicht gesehen wird. Das fängt bei der Abrechnung an, damit es überhaupt finanzierbar ist, und geht weiter bei der Wartung der Hubschrauber und der Koordination mit der bodengebundenen Rettung. Dass das im Hintergrund Hunderte Menschen ermöglichen, wird gerne übersehen. Hier mitzuarbeiten macht sehr viel Spaß. Als ich hauptberuflicher Notarzt war, bin ich ein bis zweimal pro Woche bei Flugrettungseinsätzen dabei gewesen. Seit knapp acht Jahren bin ich freiberuflicher Notarzt und fliege einmal im Monat bei Einsätzen mit dem Rettungshubschrauber mit.

med.ium: Was ist das Wichtigste bei Einsätzen aus der Luft?

Dr. Franz: Bei allem, was mit Einsätzen aus und in der Luft zu tun hat, gilt die Devise: Sicherheit an erster Stelle! Das ist auch das Schwierigste in der Medizin, speziell in der Notfallmedizin: dass ,Safety first‘ nicht zur Floskel verkommt. Wenn auch nur einer – ohne es zu begründen – sagt: ‚Nein, das machen wir nicht! Der Einsatz passt nicht, ich habe ein schlechtes Bauchgefühl‘, dann wird das nicht gemacht. Das ist natürlich emotional sehr belastend, weil man ja gleichzeitig weiß, dass man dem Menschen in Not jetzt nicht zur Hilfe kommen wird. Obwohl der Vorgang recht einfach klingt, ist das sehr schwer. Ich habe auch schon oft damit gehadert, nein zu sagen. Ein sehr schwieriges Thema.

Ein klassischer Faktor für solch eine Entscheidung ist ganz klar das Wetter. Von der Besatzung eines Rettungshubschraubers hat nur der Pilot eine Ausbildung in Meteorologie und die nötige Erfahrung. Dessen Entscheidung müssen die beiden anderen Teammitglieder akzeptieren. Ein ursächliches medizinisches Problem in den meisten Rettungshubschraubern ist der unglaublich beengte Platz, sobald der Patient eingeladen wurde. Es ist heiß und eng und wenn der Notarzt während der Betreuung etwas holen will, was er sich nicht schon vor Abflug zurechtgelegt hat, muss er sich wieder abschnallen, womit er wiederum seine eigene Sicherheit aufs Spiel setzt. Schon eine leichte Turbulenz kann dazu führen, dass man wo dagegen rennt. Häufig muss man schon sehr viele Schritte im Voraus bedenken.

Als Notarzt sagst du dir, wenn der Patient zu instabil ist, so dass es zu vieler Handlungen bedarf, fahre ich lieber mit dem Rettungswagen (RTW). Das ist ein Aspekt, den die Flugrettungsbranche nicht gerne hört, doch: der sicherste Weg, einen Patienten ins Krankenhaus zu bringen, ist auf vier Rädern. Unter Umständen dauert das länger, aber ich weiß, dass ich hinkomme. Wenn die Systeme zusammenspielen, funktioniert das sehr gut. Die Flugrettung hat genauso ihre Vor- und Nachteile wie die bodengebundene Rettung. Ein Gegeneinanderausspielen zwischen beiden wäre von Nachteil für die Patienten.

med.ium: Wie läuft die Koordination bei einem Einsatz mit dem Rettungshubschrauber ab?

Dr. Franz: Die Koordination im Team ist gelebte Praxis an Bord des Rettungshubschraubers. Das ist im Leben nicht immer selbstverständlich. Natürlich habe ich als Notarzt die medizinische Entscheidungshoheit an Bord, aber ich treffe meine Entscheidungen und schlage sie immer den anderen beiden vor. Das Spannende bei einem Einwand, der meistens vom Spezialgebiet des Betroffenen – entweder dem Flugretter oder dem Piloten – kommt, ist, dass wir Entscheidungen gemeinsam treffen. Wenn etwa der Pilot der Meinung ist, dass wir wegen des Wetters ein Krankenhaus nicht anfliegen können, dann muss er einen Ersatzvorschlag machen und wenn die anderen beiden keine Einwände haben, dann treffen wir so alle Entscheidungen immer gemeinsam.

Anfangs wurden bei einem Einsatz die Ärzte noch im Krankenhaus abgeholt. Jetzt ist es so, dass die ganze Mannschaft am Stützpunkt wartet und sowohl Bereitschafts- als auch Ruhezeiten hat. Ich möchte für diese Leute eine Lanze brechen, gerade gegenüber Außenstehenden. In Bereitschaftszeiten warten wir teilweise lange am Stützpunkt, doch bringt es nichts, wenn wir zwischenzeitlich Patienten behandeln würden. Denn bei einem Einsatz müssen wir tagsüber innerhalb von 90 Sekunden und in der Nacht innerhalb von drei Minuten auf dem Einsatzmittel sitzen. Wenn ich diese Rettungsdienst-Richtlinien einhalten will, wäre es ein Wahnsinn, wenn ich in dieser Zeit gleichzeitig im Krankenhaus arbeiten würde. Denn wenn ich dort gerade jemanden behandeln würde, während der Einsatzalarm kommt, halte ich entweder die 90 Sekunden nicht ein oder mache ich die Behandlung für den Patienten schlechter, weil ich sie abbrechen oder ihn per Zuruf einem Kollegen ohne vorige Übergabe zuteile. Da brauche ich keine andere Beschäftigung, damit ich effizienter ausgelastet bin. Es gibt Leute, die denken, man bräuchte das – interessanterweise immer jene, die solch eine Tätigkeit noch nie gemacht haben.

„Gleichzeitig löst dich aber auch niemand ab, wenn du an einem Tag während einer Schicht schon zehn emotional belastende Einsätze hattest. Als Ärzte beschäftigen wir uns nicht so gerne mit unserer eigenen psychischen Gesundheit. An manchen Tagen nach besonders schweren Einsätzen müssen Sie sich erst mal mit einer Tasse Kaffee hinsetzen, in die Sonne schauen und froh sein, dass es Ihnen und Ihrer Familie gutgeht.“

Es gibt zwar beim Roten Kreuz und beim ÖAMTC professionelle psychologische Angebote für Rettungskräfte. Aber meines Erachtens noch besser ist es, wenn das Team funktioniert. Die Psychohygiene kommt genau dadurch zustande, dass wir auf der Rettungswache, dem Stützpunkt sitzen und miteinander über die Einsätze reden. Es ist ein sehr vertrautes Miteinander zwischen den drei Crew-Mitgliedern, wir wissen sehr viel voneinander und das ist gerade in belastenden Situationen förderlich. Vor allem mit den Leuten, die dabei waren – diese Struktur hilft in 99 Prozent der Fälle sehr gut.

Die Einsätze hängen sehr stark vom Stützpunkt und von der Jahreszeit ab. Natürlich sind das an den inneralpinen Stützpunkten wie Zell am See im Winter hauptsächlich Skiunfälle, von denen die meisten medizinisch betrachtet relativ leicht sind. Das sind größtenteils Transportflüge, weil der Rettungswagen nicht auf die Piste zufahren kann. Als Notarzt bin ich hier meistens nur ,Einladehilfe‘, weil die Patienten schon von der Pistenrettung vorbildlich versorgt worden sind. Statt 45 Minuten brauchen sie dann halt nur 15 Minuten ins Krankenhaus. 

„Wir haben also eine Lose-lose-lose-Situation auf allen Seiten. Dem Patienten kann nicht geholfen werden, das Krankenhaus will ihn nicht und ich kann ihm als Notarzt – materialtechnisch und formal – auch nicht helfen, da ich kein Rezept ausstellen kann.“

Der klassische Stützpunkt ist in der Stadt Salzburg, wo der Hubschrauber meistens medizinische Notfälle fliegt. In 70 bis 80 Prozent der Einsätze fliegt der Hubschrauber nur, weil nicht alle Strukturen vorhanden sind. Der Patient braucht einen Arzt, das ist schon richtig. Nur häufig kommt der Notarzt zu ihm, weil kein praktischer Arzt – das ist kein Vorwurf an die niedergelassenen Kollegen! – greifbar ist. Für den Notarzt ist das kein Problem, er kann dem  Patienten mehr oder weniger helfen. Nur kommt er halt mit dem falschen Einsatzmittel, das dann auch noch für schwerwiegendere Fälle blockiert ist – wegen eines Hexenschusses oder Rückenschmerzen, die den Patienten seit zwei Tagen plagen und er keinen Allgemeinmediziner erreicht. Dann ruft er die Rettung, die ihm einen Rettungswagen schickt und einen Notarzt, der dem Patienten aber auch nicht wirklich helfen kann, weil der Patient ja nur etwas gegen seine Rückenschmerzen braucht. Er will ein Rezept oder eine Infusion, aber nicht ins Krankenhaus. Und selbst wenn ich eine Infusion gegen Rückenschmerzen bei mir führte – was nicht der Fall ist, da diese bei Notarzteinsätzen nicht benötigt wird –, kann ich, salopp gesagt, den Patient nicht daran anhängen und eine halbe Stunde neben ihm sitzen bleiben. Ich kann ihn also nur vor die Wahl stellen: dass er zu Hause bleibt oder mit der Rettung ins Krankenhaus fährt – die dortigen Kollegen machen deswegen aber auch keine Luftsprünge.

Wir haben also eine Lose-lose-lose-Situation auf allen Seiten. Dem Patienten kann nicht geholfen werden, das Krankenhaus will ihn nicht und ich kann ihm als Notarzt – materialtechnisch und formal – auch nicht helfen, da ich kein Rezept ausstellen kann. Zudem wird der Rettungsdienst für diese Tätigkeit bezahlt, für die er auch haftet. Wenn ich hier einen allgemeinmedizinischen Schritt setze, hafte ich genauso, wie wenn das ein Polytrauma wäre. Natürlich bin ich Arzt, natürlich kann ich das, aber ich bin nicht in dieser Rolle beim Patienten.

Es bleiben in diesem Fall alle auf der Strecke und die Lösung ist schließlich, dass der Patient ins Krankenhaus geschickt wird, was meiner Meinung nach auch keine Lösung ist. Der Patient will das nicht, das Krankenhaus ebenso nicht und die Probleme im Krankenhaus macht es auch nicht leichter.