Von Prim. Assoz. Prof. Priv. Doz. DDr. Peter Rainer und OA Dr. Michael Schnallinger, Abteilung für Innere Medizin, BKH St. Johann in Tirol | Mag. Christoph Schwalb | med.ium 7+8/2024 | 12.8.2024
Die Herzinsuffizienz ist eine der häufigsten Ursachen für Hospitalisationen in Österreich und eine Erkrankung, deren Prävalenz ab der siebten Lebensdekade exponentiell zunimmt. In dieser Alterskategorie sind über 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung betroffen und der Großteil der Hospitalisationen ist darauf zurückzuführen. Durch die Bevölkerungsentwicklung wird die Anzahl der Patient:innen in den nächsten Jahren sehr stark ansteigen, prophezeien Primar Prof. Peter Rainer und Oberarzt Dr. Michael Schnallinger vom BKH St. Johann in Tirol.
Die Herzinsuffizienz ist ein Zustand, bei dem das Herz kein adäquates Herzzeitvolumen für die Bedürfnisse des Körpers aufrechterhalten kann. Dies kann entweder in Ruhe oder unter Belastung auftreten und sowohl bei erhaltener als auch reduzierter systolischer Linksventrikelfunktion (Ejektionsfraktion, EF) der Fall sein (Abbildung 1).
a) In Frühstadien der HF (insbesondere bei HFpEF) und bei optimal behandelten Patienten können die klinischen Zeichen fehlen.
b) Das Vorliegen anderer Untersuchungsbefunde einer strukturellen Herzerkrankung (z. B. Vergrößerung des linken Vorhofs, LV-Hypertrophie oder echokardiographischer Nachweis einer gestörten LV-Füllung) macht die Diagnose einer HFmrEF wahrscheinlicher.
c) Für die Diagnose von HFpEF gilt: Je mehr Anomalien vorhanden sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von HFpEF.
Besonders bei älteren Menschen ist die Herzinsuffizienz mit erhaltener EF (HFpEF: Heart Failure with preserved EF) die häufigste Form der Herzschwäche. Die Diagnose erfolgt durch die Integration von Klinik, Echokardiographie und der Bestimmung von Biomarkern für erhöhte Füllungsdrücke im Herzen (NT-proBNP). Besonders im Alter können unspezifische Symptome wie z.B. rasche Ermüdbarkeit, Erschöpfung, Appetitlosigkeit oder Übelkeit die Hauptbeschwerden sein. Durch diese unspezifischen Beschwerden und da bei der HFpEF die EF erhalten ist, kann die Diagnosestellung schwieriger sein als bei der HFrEF.
Die Echokardiographie dient der Einteilung der Herzinsuffizienz nach der EF und der Diagnostik von zugrunde liegenden Ätiologien wie z.B. Vitien oder einer ischämischen Kardiomyopathie (CMP) mit reduzierter Linksventrikelfunktion und Wandbewegungsstörungen. Bei erhaltener EF und Verdacht auf Herzinsuffizienz sollten Hinweise auf eine diastolische Funktionsstörung (z.B. Doppler und Gewebedoppler, LV Hypertrophie, Vorhofgröße, geschätzter pulmonalarterieller Druck) gesucht werden. Bei einer Rechtsherzvergrößerung mit erhöhtem geschätzten pulmonalarteriellen Druck und ohne Hinweise auf eine Lungenerkrankung sollte auch an eine HFpEF gedacht werden. Der empfohlene Diagnostik-Algorithmus ist in Abbildung 2 dargestellt.
Natriuretische Peptide (NT-proBNP) sind gute Parameter, um erhöhte Füllungsdrücke mit hoher Sicherheit auszuschließen. Zu diesem Zweck wird der Grenzwert niedrig angesetzt, in den aktuellen Guidelines bei 125 pg/ml. Insbesondere bei älteren Patient:innen, bei Vorhofflimmern oder bei chronischer Niereninsuffizienz kann es aber sinnhaft sein, Grenzwerte etwas höher anzusetzen. In Tabelle 1 werden alters- und geschlechtsabhängige Grenzwerte zum Ausschluss einer Herzinsuffizienz im ambulanten Bereich angegeben und von Expert:innen empfohlene Korrekturen je nach eGFR, BMI und Vorhofflimmern dargestellt.
Komorbiditäten wie Diabetes mellitus, chronische Niereninsuffizienz, Vorhofflimmern, Eisenmangel oder arterielle Hypertonie bestimmen bei Herzinsuffizienz oft das klinische Bild und die Prognose und sollten adäquat behandelt werden. Unabhängig von der EF kommen bei der Herzinsuffizienz eine diuretische Therapie bei Überwässerung, in der Regel Schleifendiuretika, und SGLT2i zur Vermeidung von Hospitalisationen zum Einsatz.
Bei Herzinsuffizienz mit einer EF von ≤40 % kommt die moderne Vierfachtherapie zum Einsatz. Diese beinhaltet eine RAS-Blockade mittels ACEi, ARB oder vorzugsweise ARNI, einen kardioselektiven Betablocker, einen SGTL2i und einen Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonisten (MRA).
Bei älteren Patient:innen spielen Komorbiditäten und allfällige Nebenwirkungen eine größere Rolle als bei jungen Patient:innen, insbesondere auch, da oft eine ausgeprägte Polypharmazie mit Nebenwirkungs- und Wechselwirkungspotential vorliegt. Alleine eine guideline-gerechte Therapie der HFrEF führt zur Verschreibung von vier bis fünf Substanzklassen. Prinzipiell sollte bei jedem älteren Patienten die Medikation kritisch auf ihre Sinnhaftigkeit in Bezug auf Polypharmazie und die durch Multimorbiditäten bestimmte Prognose und Therapieziele überprüft und gegebenenfalls reduziert werden. +
Hier gilt es auch anzumerken, dass dieses Patientenkollektiv meist nicht oder weniger in Studien untersucht worden ist. Existierende Subgruppenanalysen zeigen jedoch, dass auch ältere Patient:innen von einer adäquaten Therapie profitieren. Es ist deshalb festzustellen, dass Patienten unabhängig ihres Alters gemäß aktuell gültiger Guidelines behandelt werden sollten. Hier stehen oft nicht die Mortalität und der Gewinn von Lebensjahren, sondern die Symptomkontrolle und Vermeidung von Hospitalisationen und somit die Lebensqualität im Vordergrund.
Das Alter ist per se kein Grund, um Patienten z.B. einen ARNI vorzuenthalten, zumal Nebenwirkungen wie akutes Nierenversagen oder Hyperkaliämie in Studien nicht häufiger auftreten. Eine symptomatische Hypotonie kann bei älteren Patient:innen häufiger auftreten. Hier gilt es, andere blutdrucksenkend wirksame Substanzen, wie z.B α-Adrenorezeptorenblocker oder Calciumantagonisten, abzusetzen. Auch das Absetzen von Diuretika bei fehlender Überwässerung kann hilfreich sein.
SGLT2i sind in der Regel gut verträglich und manche Studien legen nahe, dass die Verträglichkeit einer MRA-Therapie hinsichtlich Hyperkaliämie verbessert werden kann. Insbesondere bei MRAs sollte auf blutdrucksenkende Wirkung und auf Hyperkaliämie (>5.5mM) geachtet werden und bei hochbetagten Patient:innen und fortgeschrittener Niereninsuffizienz der Einsatz kritisch, unter engmaschiger Kontrolle, oder gar nicht erfolgen. Bei einer eGFR von <30ml/min/1.73m² oder einem Serumkreatinin von >2.5mg/dl ist der Einsatz von MRAs in der Regel kontraindiziert.
Eisenmangel kann auch ohne Anämie vorliegen und betrifft bis zu 50% der Herzinsuffizienz Patient:innen. Bei Ferritin Werten von <100 ng/ml oder 100-299 ng/ml und einer Transferrinsättigung von <15% verbessert eine intravenöse Eisensubstitution mit Eisencarboxymaltose oder Eisenderisomaltose Symptome und Hospitalisationen. Eine orale Gabe ist nicht effektiv.
Eine andere häufige Komorbidität ist Vorhofflimmern. Hier ist neben der Frequenzkontrolle die Vermeidung von Schlaganfällen wichtig. Bei ≥75-jährigen Patienten mit Herzinsuffizienz liegt ein CHA2DS2-VASc Score von ≥3 vor und somit die Indikation für eine orale Antikoagulation. Zu beachten ist, dass bei den vier zur Verfügung stehenden nicht-Vitamin-K-antagonistischen Antikoagulanzien verschiedene Kriterien für eine Dosisreduktion, unter anderem basierend auf Alter, Körpergewicht oder Nierenfunktion, bestehen.
Malnutrition, Frailty sowie eine kognitive Einschränkung und Depression liegen im Alter häufiger vor und sollten erkannt und adressiert werden. Auch Schwindel und Sturzneigung sind häufige geriatrische Symptome, die es zu erfragen gilt. Der Nutzen einer medikamentösen Therapie muss in diesem Zusammenhang abgewogen werden. Blutdruckmessungen im Stehen helfen eine orthostatische Hypotonie zu erkennen.
Zusammenfassend profitieren insbesondere auch ältere Menschen von Abklärung und adäquater Therapie einer Herzinsuffizienz; Multimorbidität und Polypharmazie sollten jedoch erfasst und berücksichtigt werden. Dies erfordert einen ganzheitlichen Zugang, der besondere medizinische, pflegerische und soziale Bedürfnisse geriatrischer Patient:innen berücksichtigt und diese multidisziplinär adressiert.
Herzspezialist Prim. Assoz. Prof. Priv.-Doz. DDr. Peter Rainer ist Chef der Internen Abteilung im Bezirkskrankenhaus St. Johann in Tirol. Prof. Rainer stammt aus Gastein, absolvierte sein Medizinstudium an der Med Uni Graz und in Florenz. Die klinische und wissenschaftliche Ausbildung erhielt Rainer im LKH Salzburg, an der Uniklinik für Innere Medizin Graz und an der Johns Hopkins Universität in Baltimore, USA.
Oberarzt Dr. Michael Schnallinger ist Internist, Hämato-Onkologe sowie Geriater und Palliativmediziner. Er leitet die Einheit für Akutgeriatrie & Remobilisation am BKH St. Johann in Tirol.
Geriatrischer Kommentar
Im Allgemeinen wird der klinische Outcome von geriatrischen Patient:innen mit kardiovaskulären Erkrankungen durch Frailty signifikant beeinflusst, betroffen davon sind in Mitteleuropa etwa 7-9 % der über 65-Jährigen und rund ein Drittel der über 80-Jährigen.
Der Begriff “Frailty“ kennzeichnet ein multidimensionales geriatrisches Syndrom, das durch eine erhöhte Vulnerabilität auf exogene Stressoren zu einem Verlust an individuellen physiologischen Reserven und Funktionalität führt. In wesentlichen davon betroffen sind Mobilität, Kraft und Ausdauer, das Gleichgewicht und die motorische Verarbeitung, die Kognition bzw. der Eiweißmetabolismus und letztendlich auch die Lebensqualität.
Neben einer genauen fachspezifischen Untersuchung sollte auch die Erfassung der “individuellen Komplexität“ auf Basis funktioneller und klinischer Tests und eine Entscheidungsfindung gemeinsam mit den Betroffenen auf Basis eines “shared decision making“ Prozess die Grundlage von medizinischen Entscheidungen sein.
In der klinischen Praxis kann die Berücksichtigung von Frailty das Risikomanagement geriatrischer Patient:innen mit einer Herzinsuffizienz verbessern und zur Entwicklung “maßgeschneiderter“ Therapien beitragen, die u.a. auch durch wissenschaftliche Studien gut belegt die Lebensqualität dieser Patient:innen optimieren.