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Aus den Kurien

Die Übergabepraxis

Aus unserer Serie "Formen ärztlicher Kooperation"

Von Lukas Schweighofer LLM. oec. und Mag. Christoph Schwalb | med.ium 1+2/2023 | 15.2.2023

Ärztinnen und Ärzte, die eine gutlaufende Ordination angesichts der bevorstehenden Pension nicht zusperren wollen, können diese gut vorbereitet an eine/n Nachfolger/in übergeben. Sie sichern so die ärztliche Versorgung und machen es Praxis-Neueinsteigern leichter. Welche Voraussetzungen dafür nötig sind und von welchen Vorteilen alle Beteiligten profitieren.

Um Jungärztinnen und Jungärzten Kassenverträge attraktiver zu machen, forderte der Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Vorsitzende der Bundeskurie niedergelassene Ärzte Edgar Wutscher zu Jahresbeginn Reformen im Gesundheitssystem. Ein Wegdorthin sind neue Arbeitsformen, so wie es die vor einigen Jahren eingeführten und nach wie vor beliebten Gruppenpraxen vormachen. Das med.ium
berichtete in der vergangenen Ausgabe (10-12/22) in Teil 1 seiner neuen Serie „Ärztliche Kooperationsformen“ ausführlich über diese Form der Praxisgestaltung, die auch die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) favorisiert und mit der sie insbesondere junge Ärztinnen und Ärzte für das Kassensystem begeistern will.

In Teil 2 unserer Serie beleuchten wir das Modell der Übergabepraxis, das Quer- und Neueinsteigern den Weg in eine Praxis enorm erleichtert. Neben finanziellen Aspekten bietet die gutgeplante Übergabe einer Ordination für alle Beteiligten zahlreiche Vorteile. Ein Arzt, der ein Leben lang seine Praxis aufwendig aufgebaut und betrieben hat, möchte sein Lebenswerk aufgrund seiner bevorstehenden Pension nicht einfach so auslöschen. Eine Ärztin, die die Herausforderungen einer Praxisgründung nicht unbegleitet meistern möchte. Und nicht zuletzt Patientinnen und Patienten, die die Praxis ihres Arztes oder ihrer Ärztin seit Jahren kennen und die medizinische Leistung und Versorgung schätzen. Für all diese Belange bietet sich das Modell Übergabepraxis als ideale Lösung an.

Wenn Sie Arzt oder Ärztin sind, inwenigen Jahren in Pension gehen und ihre liebgewonnene Ordination nicht einfach schließen wollen, erfahren Sie in diesem Artikel alles Wissenswerte über die perfekt geplante Übergabe. Sie machen es sich nicht nur selber leichter, sondern all jenen, die an ihrer Praxis hängen. Ihr Lebenswerk bleibt bestehen und Sie geben all Ihr Wissen und Ihre Erfahrung an die nächste Generation weiter.

Die Übergabepraxis ist eines der erfolgreichsten und vorteilhaftesten Modelle unter den ärztlichen Kooperationsformen, die im Kassensystem zur Verfügung stehen. Im Jahr 2022 wurden zehn Übergabepraxen ausgeschrieben, ebenso viele sind momentan aktiv. Kern des Modells ist es, die geregelte Nachfolge einer Stelle zu ermöglichen und den Einstieg in den Alltag einer Kassenordination zu erleichtern.

Steht man vor der Entscheidung, seine vertragsärztliche Tätigkeit zu beenden, kommen dazu mehrere Wege in Betracht. Üblicherweise wird der Vertrag, mit einer Frist von drei Monaten, zum jeweiligen Quartalsende gekündigt. Diese Kündigung bringt den Prozess der Nachbesetzung ins Laufen. Stellen werden im Einvernehmen zwischen Kammer und Kasse ausgeschrieben und über die Bestimmungen des Gesamtvertrags nachbesetzt. Entscheidend ist dabei die Reihungsrichtlinie, nach der die zukünftigen VertragsärztInnen ausgewählt werden. Das Zeitfenster für eine solche Nachbesetzung ist knapp, bedenkt man die Vorlaufzeit für die Eröffnung einer Kassenordination. In der Regel gelingt es aber – mit Ausnahme der Fächer, in denen eine Nachbesetzung generell schwieriger ist – auch in diesen Fällen, Stellen ohne größere Lücken zu übergeben. Unter Umständen ist für das Ende der vertragsärztlichen Tätigkeit aber gar keine Kündigung notwendig. Etwa wenn KassenärztInnen die Altersgrenze erreichen, ab der Verträge von Gesetzes wegen erlöschen. VertragsärztInnen können längstens bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres in einem Vertrag zur Sozialversicherung stehen. Ausnahmen davon gibt es nur bei einer drohenden ärztlichen Unterversorgung. Eine Nachbesetzung dieser Stellen hat aber eine längere Vorlaufzeit, da diese absehbar ist und somit eine zeitgerechte Vorbereitung ermöglicht.

„Ein „sanfter“ Ausstieg aus dem Kassenleben ist die Übergabepraxis. Ein Antrag dazu ist drei Jahre vor einem geplanten Vertragsende (siehe Grafik), spätestens aber ein Jahr davor möglich. Bedingung dafür ist, dass der Kündigungstermin für Vertrag und Übergabepraxis nicht nach dem auf Vollendung des 69. Lebensjahres folgenden Quartalsende liegt und zu diesem Termin alle kurativen und Vorsorgeuntersuchungs-Einzelverträge zu den Krankenversicherungen beendet werden. Es ist also erforderlich, den Kassenvertrag bereits vor der Bildung einer Übergabepraxis in die Zukunft gerichtet zu kündigen. Sobald die Kassen der Bildung einer Übergabepraxis zugestimmt haben, kann die Stelle ausgeschrieben werden. Schon in der Ausschreibung der Stelle wird auf die Übergabepraxis hingewiesen, BewerberInnen müssen bereit  sein, in diese einzutreten. Die Nachbesetzung läuft dann wie bei jeder anderen Stellenausschreibung – über eine Bewerbung, Auswahl nach Reihungsrichtlinie und unter Einbeziehung des Niederlassungsausschusses der Kammer.

Der Unterschied liegt aber in der gemeinsamen Zeit, in der ÜbergeberInnen mit NachfolgerInnen zusammenarbeiten können (längstens aber drei Jahre).

Was aber nun, wenn ausscheidende VertragsärztInnen mit dem ausgewählten Nachfolger nicht einverstanden sind bzw. eine Zusammenarbeit z. B. auf persönlicher Ebene unmöglich scheint? Für diese Fälle sieht der Gesamtvertrag ein Vetorecht vor. Dies ist aber nur bei schwerwiegenden Einwänden möglich, über die eine Kommission entscheiden muss. Werde diese anerkannt, würde der/die nächstgereihte Bewerber/ Bewerberin zum Zug kommen, sofern gegen diese Person keine Einwände bestehen. Bei nicht berechtigten Einwänden geht das Recht auf Führung einer Übergabepraxis verloren. Ausscheidende VertragsärztInnen führen in diesem Fall die Praxis bis zum Kündigungstermin alleine weiter. Danach würde die Stelle nochmals ausgeschrieben werden.

Die laufende Zusammenarbeit in der Übergabepraxis ist im Innenverhältnis zwischen den beteiligten ÄrztInnen zu regeln. Üblicherweise wird dazu ein schriftlicher Vertrag aufgesetzt. Darin werden Rechte und Pflichten, Arbeitsteilung, Übergabe von Inventar und Kartei etc. geregelt. Die Ärztekammer bietet hierzu ein Muster zum Runterladen auf ihrer Website an (siehe Link am Textende). Regelungen zur Zusammenarbeit finden sich aber auch im Gesamtvertrag. So müssen ausscheidende VertragsärztInnen zumindest 50 % (über den gesamten Übergabezeitraum) der Ordinationszeit erbringen. In einzelnen Quartalen kann dieser Anteil auch auf 25 % reduziert werden. Die Ordinationszeiten müssen den minimalen Anforderungen des Gesamtvertrags entsprechen. Außerdem sind die NachfolgerInnen am Umsatz in angemessener Weise zu beteiligen. Die Kammer kann dies im Anlassfall überprüfen (z.B. aufgrund einer Beschwerde der zukünftigen StelleninhaberInnen).

Was passiert bei schwerwiegenden Problemen in der Zusammenarbeit während des Übergabezeitraums? In diesen Fällen sieht der Gesamtvertrag auch die Möglichkeit eines vorzeitigen Ausstiegs der ausscheidenden VertragsärztInnen vor. Jeweils zum Ende eines laufenden Quartals ist dieser Rückzug möglich. Der Einzelvertrag der NachfolgerInnen beginnt damit im folgenden Quartal.

Die Übergabepraxis ist somit bestens geeignet, um ideal vorbereitet und guten Gewissens seine wohlverdiente Pension anzutreten – in dem Wissen,  seine Erfahrung und Wissen in die Hände des Nachfolgers gelegt zu haben und auch die PatientInnen nicht zu verlieren.

Hardfacts Übergabepraxis

  • Übergabepraxis ist keine Gruppenpraxis
  • Geregelt im § 5 des kurativen Gesamtvertrags
  • Antragstellung erforderlich
  • drei Jahre vor dem Vertragsende, spätestens aber ein Jahr davor
  • Altersgrenze für den Übergeber (ausschlaggebend ist das Ende des Vertrages)
  • Ausschreibung und Auswahl nach den Regeln des Gesamtvertrags
  • Vetorecht für Übergeber vorhanden, aber unter Umständen mit Verlust der Übergabepraxismöglichkeit verbunden
  • Regelungen sind im Innenverhältnis zu treffen
  • Gesamtvertrag gibt aber wesentliche „Spielregeln“ vor
  • Vorzeitiger Rückzug bei Problemen möglich 

Interviews

Dr. David Stelzhammer, Arzt für Allgemeinmedizin und Sportmedizin, Radstadt

Dr. Falko Lainer, Arzt für Allgemeinmedizin, Ramingstein

Dr. Sebastian Kalbhenn, Arzt für Allgemeinmedizin, Saalfelden

med.ium: Wie sind Sie auf die Möglichkeit der Übergabepraxis (ÜGP) aufmerksam geworden?

Dr. David Stelzhammer: Nach dem Abschluss meiner Turnusarztausbildung war ich Assistenzarzt in einem Salzburger Krankenhaus und wollte diese ursprünglich auch abschließen. Irgendwann ereilte mich allerdings doch der Gedanke, in die Allgemeinmedizin bzw. Niederlassung zu wechseln. Allerdings wollte ich mich nicht „blind“ für eine Kassenstelle bewerben, sondern informierte mich zuerst über die Homepage der ÄK Salzburg über die möglichen Kooperations- bzw. Übergabeformen und nahm im Anschluss Kontakt mit Frau Riss von der ÄK auf, welche mich ausführlich informierte und beriet.

Dr. Falko Lainer: Ich wurde von der Ärztekammer über die Möglichkeit informiert und wurde bestens von Frau Renate Riss betreut.

Dr. Sebastian Kalbhenn: Meine Frau hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass  eine Kollegin in Saalfelden bald in Pension geht und so haben wir uns zu einem äußerst netten Gespräch getroffen und die Möglichkeiten erörtert, die Ärztekammer war uns da eine sehr große Hilfe. Nach bereits wenigen Treffen war für uns klar, dass das Modell der Übergabepraxis für beide Seiten optimal ist.

med.ium: Gab es bereits Kontakte zum ausscheidenden Arzt im Vorfeld? Wie lief die Kontaktaufnahme mit dem Übergeber?

Dr. David Stelzhammer: Meinen Vorgänger, Dr. Harald Aufmesser, kannte ich bereits seit vielen Jahren. Ich absolvierte schon während des Studiums einige Famulaturen, dann das Klinisch-Praktische-Jahr (KPJ) und schließlich auch meine Ambulanzzeit während der TA-Ausbildung in seiner Ordination. So wuchs auch über die Zeit die Idee, gemeinsam eine Übergabepraxis anzustreben. Durch diesen engen und freundschaftlichen Kontakt konnte diese dann auch sehr detailliert und vor allem ehrlich geplant werden. 

Dr. Falko Lainer: Ja, das war mein Vater, ich habe auch in der Turnuszeit schon bei ihm mitgearbeitet. med.ium: Was würden Sie KollegInnen raten, die sich für die ÜGP entscheiden (als potenzieller  Nachfolger)?

Dr. David Stelzhammer: Ein offener und vor allem ehrlicher Umgang von Vorgänger zu Nachfolger ist meines Erachtens das Um und Auf! Denn nur so kann eine gut funktionierende Kooperation und Übergabe vonstattengehen, ohne dass einer der beiden Partner dann schlussendlich das böse Erwachen erfährt (Finanzen etc.). Dr. Aufmesser und ich hatten mehrfach (Planungs-)Gespräche mit Frau Riss; ich kann nur empfehlen: nutzen Sie diese Chance! Durch ihre jahrelange Erfahrung im Bereich der niedergelassenen Kollegenschaft und der Vertragsvergaben konnten wir gemeinsam alle Details und Formalitäten für die Übergabe klären und uns somit die eine oder andere böse Überraschung sparen.

Dr. Falko Lainer: Arzt ist mehr als nur Mediziner zu sein, es gibt eine große unternehmerische Komponente. Früh genug sollte man sich mit dem Steuersystem und allen anderen unternehmerischen Fragen beschäftigen.

med.ium: Haben Sie negative Erfahrungen in der Zusammenarbeit gemacht und wenn ja, welche?

Dr. David Stelzhammer: Nein, definitivnicht! Selbstverständlich gab es immer wieder Meinungsverschiedenheiten im täglichen Praxisalltag bzw. der Arbeit. Doch im Endeffekt profitierten wir meiner Meinung nach beide davon: ich von der jahrzehntelangen Erfahrung meines Vorgängers Dr. Aufmesser und er – naja vielleicht von meiner jugendlichen Heiterkeit und Beschwingtheit und vielleicht ein klein wenig von meinem universitären Wissen der Uniklinik. (lacht)

Dr. Falko Lainer: Nein. Neues und altes Wissen, welches in einer Übergabepraxis aufeinandertrifft, ist für alle von Vorteil – auch der Patient kann nur davon profitieren.

Dr. Sebastian Kalbhenn: Nein, ich kann auf keinerlei negative Erfahrung zurückblicken.

med.ium: Würden Sie sich nochmal für dieses Modell entscheiden? Was würden Sie anders machen?

Dr. David Stelzhammer: Ja, ganz bestimmt. Es überwiegen für mich dabei die großen Vorteile des GEMEINSAMEN Arbeitens. Man kann sich austauschen, um Hilfe bitten, auf jahrelange Erfahrungsschätze
zurückgreifen und das nicht nur medizinisch. Denn eine Ordination will organisiert und auch wirtschaftlich geführt werden. All das lernen wir Mediziner leider nicht in unserer Ausbildung. Ich konnte mir das dafür
notwendige Wissen (inkl. Abrechnung, Personal, etc.) durch das gemeinsame Arbeiten mit Dr. Aufmesser schrittweise aneignen. Auch nach längst erfolgter formaler Übergabe bin ich froh über die Kooperationsform, denn aus der ursprünglichen Kooperationsform hat sich eine Freundschaft entwickelt, die ich nicht missen möchte. Es ist nie verkehrt, einen „Joker“ an seiner Seite zu haben. 

Dr. Falko Lainer: Sofort – es ist ein perfekter Start in die Selbstständigkeit. Ich würde nichts anders machen. Wenn das Verhältnis zum Übergeber gut ist, sollte man sich immer die Möglichkeit der Vertretung offen halten.

Dr. Sebastian Kalbhenn: Auf jeden Fall würde ich es ganz genau wieder so machen. Eventuell sollte man schon lange vorher den Kontakt herstellen, damit es organisatorisch nicht zu stressig wird.

med.ium: Wo sehen Sie die wesentlichen Vorteile der ÜGP?

Dr. Falko Lainer: Gute Einarbeitung in eine Ordination, der Vorteil, dass man Patienten, deren Umfeld und familiäre Probleme kennenlernt, da diese dem Übergeber meist jahrzehntelang bekannt sind.

Dr. Sebastian Kalbhenn: Man kann die Patienten in einem kontinuierlichen, länger andauernden Prozess kennenlernen und ihnen und sich selbst somit die Möglichkeit geben, sich gegenseitig langsam kennenzulernen. Die Übernahme von Patienten bedeutet ein hohes Maß an Vertrauen, um Unsicherheiten und Bedenken aus dem Weg zu schaffen, ohne sie von einem auf den anderen Tag vor vollendete Tatsachen zu setzen. Das schafft die ideale Voraussetzung für eine langandauernde Arzt-Patienten-Beziehung. Des Weiteren lernt man den Arbeitsalltag in einer Ordination von Grund auf kennen, ohne irgendwelche vorherige Erfahrungen haben zu müssen. Man profitiert enorm von der langjährigen Erfahrung des ausscheidenden Kollegen und kann sich auf diese Weise viele Probleme ersparen, z. B. organisatorische Abläufe, Personalmanagement und, ganz wichtig, alles rund um Abrechnung und Umgang mit den Krankenkassen.


Mehr Infos:

www.aeksbg.at/uebergabepraxis (Login erforderlich)

„Die Übernahme von Patienten bedeutet ein hohes Maß an Vertrauen, um Unsicherheiten und Bedenken aus dem Weg zu schaffen, ohne sie von einem auf den anderen Tag vor vollendete Tatsachen zu setzen.“ (Dr. Sebastian Kalbhenn)

Interesse geweckt?

Sollten wir Ihr Interesse an dieser Kooperationsform geweckt haben, stehen Ihnen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Ärztekammer für Salzburg für Beratungsgespräche oder weiterführende Information gerne zur Verfügung!

Mehr zu den ärztlichen Kooperationsformen finden Sie auch online auf unserer Website (Login erforderlich): www.aeksbg.at/kooperationsformen