Von Dr. Christian Gruber, Severin Schwaiger M.A., Mag. Christoph Schwalb. Fotos: Austrian Doctors | med.ium 5+6/2025
Ein Rückblick:
Die Geschichte beginnt in den 1980er Jahren. Ephrem Tirkey arbeitet als Prado-Bruder in den Slums von Kolkata. Father Francois Laborde und Gaston Dayanand hatten den Prado-Orden aus Europa nach Indien gebracht, mit zwei weiteren Indern wurde Tirkey Teil der Prado-Gemeinschaft.
Prado sein heißt, mit den Armen im Slum zu leben, ohne schützendes Ordenshaus, helfen, wie und was man eben tun kann. Wie die Situation damals war, kann man im Buch (und Film) „The City of Joy“ von Dominique Lapierre nachlesen und sehen.
Als gelernter Lehrer und ehemaliger Schuldirektor in Mumbai war es Brother Ephrems größtes Anliegen, eine Schule für Kinder aus den Slums zu gründen. Dr. Werner Waldmann, neben Dr. Christian Gruber Gründer der Austrian Doctors, arbeitete in seinem medizinischen Einsatz in den Slums von Kolkata. Mit seiner Unterstützung konnte im Stadtteil Howrah ein Grundstück gekauft werden. Der Bau der St. Francis Assisi Schule begann, 1990 wurde sie eröffnet.
Der Gründer der Austrian Doctors half mit, in Indien eine Schule zu bauen – sie existiert seit 1990
Dr. Waldmann war überzeugt, dass Bildung die noch bessere Medizin sei. Tirkeys Zuversicht, sein Gottvertrauen und Mut sowie seine Begeisterung konnten jeden anstecken. Die Menschen vertrauten ihm ihre Kinder an, seine Lehrer liebten ihn. Anfang 2021 starb Ephrem Tirkey an Corona und Lungenentzündung. Sein Körper war durch viele Krankheiten ausgemergelt.
„Nach dem Tod von Schulgründer Brother Ephrem war nicht ganz klar, in welche Richtung sich das Projekt weiterentwickeln wird. Bei meinem letzten Besuch im April 2025 habe ich mit eigenen Augen die Hingabe der MitarbeiterInnen gesehen und bin vollauf begeistert von der neuen Energie, die dort jeden Tag spürbar ist“, so. Dr. Gruber.
Bildung ist die noch bessere Medizin
Fragen bei den Beteiligten drängten sich auf: Wer soll in diese großen Fußstapfen treten? Wie geht es mit der Schule weiter? Auch bei den Austrian Doctors als Freunde und langjährige Projektpartner standen sie vor einer schwierigen Aufgabe. Ephrem Tirkey schien auch für sie unersetzbar.
Zurück in die Gegenwart:
Unter liebevoller Führung durch den letzten lebenden indischen Prado, Brother Marcus, einem „gewordenen“ Teamplayer, organisierte man sich im lokalen Verein mit LehrerInnen, gelernten SozialarbeiterInnen und medizinischem Personal im bekannten Prado-Geist zu einer neuen schlagkräftigen Führung.
Im modernen und nationalistischen Indien muss man die Dinge anders angehen, Gesetze und Strukturen haben sich geändert. Vieles musste angepasst werden, von baulichen Maßnahmen am Schulgebäude bis zur Ausbildung der LehrerInnen. Da in Indien LehrerInnen mit 60 Jahren in Pension gehen müssen, kommt es zu einem kontinuierlichen Wechsel, junge Kräfte, teilweise in unserer Schule sozialisiert, rücken nach.
„Die neue Feuertreppe, die Austrian Doctors im vergangenen Jahr zur Sicherheit aller SchülerInnen und des Lehrpersonals in der Schule finanziert hat, wurde von der Firma eines ehemaligen Schülers gebaut. Es ist sehr schön zu sehen, wie sich die Kreise schließen und aus den Schulkindern von damals nun erfolgreiche Erwachsene geworden sind“, freut sich Dr. Gruber über die Erfolge.
Kooperationen mit anderen NGOs erweitern das Spektrum der Aktivitäten. Neben der Fürsorge für die Kleinsten – die Nursery School platzt aus allen Nähten – gibt es mit dem „Golden Heaven“ ein Sozialprojekt, das sich um mittellose, alte Menschen und chronisch Kranke kümmert. Sie leben in einer betreuten Wohngemeinschaft in Gebäuden des Vereins, kochen und leben gemeinsam, werden, wo nötig, gepflegt. Es gibt viel an Miteinander.
Das Gebäude des Vereins dient als Wohngemeinschaft und medizinische Ambulanz
Die gleichen Gebäude werden für medizinische Ambulanzen, in der Regel zweimal wöchentlich, genützt. Betreut von indischen Ärzten, viele arbeiten auch ehrenamtlich. Die BewohnerInnen werden untersucht, sie erhalten gratis ihre Medikamente. Im modernen Indien bedarf mehr als 20 Prozent der Bevölkerung dieser Hilfe, viele leben in großer Armut, 230 Millionen Menschen mit einem Tageseinkommen von maximal 2 Dollar.
„Die medizinische Arbeit vor Ort ist enorm wichtig, da es keine Versorgung durch den Staat gibt. Durch unsere Partnerorganisation Kamina Social Welfare Society können wir uns auch auf diesem Gebiet einbringen. Gerne möchten wir diesen Sektor weiter ausbauen und vielleicht eines Tages auch ehrenamtliche Arzteinsätze in Indien möglich machen. Derzeit kommen ehrenamtliche MedizinerInnen aus Österreich ausschließlich in unseren Projekten in Bangladesch zum Einsatz“, fasst Dr. Gruber die Fortschritte zusammen.
Die Partnerorganisation der Austrian Doctors, die Kamina Social Welfare Society, hilft in gleicher Weise im ländlichen Umfeld. Hier sind es vor allem Ziegeleien, die ein Ort von Armut, Unterernährung, Krankheit und Bildungslosigkeit sind. Im „modernen“ Indien diese Situation an Ausbeutung vorzufinden, machte Dr. Christian Gruber sehr betroffen.
Über 200 dieser Arbeitsstätten gibt es im Umfeld von Kolkata, dort leben und arbeiten jeweils um die 600 Menschen, Arbeitsnomaden, verarmte Familien aus Bihar, Jharkhand und Odisha. Unbetreute Kleinstkinder und Kinderarbeit sind dort Alltag. Nur zwei Ziegeleien können die Ärztinnen und Ärzte von Kamina mit der Unterstützung aus Österreich aktuell betreuen. Dieses Projekt soll nun aber ausgebaut werden – mit der Perspektive, künftig auch ehrenamtliche Einsätze für Medizinerinnen und Mediziner aus Österreich dort möglich zu machen.
Diese Armut erinnerte Dr. Gruber an die Textilfabriken in Bangladesch, wo er zuvor viel unterwegs war und geholfen hat. Für ihn sind die Reisen nach Indien und Bangladesch immer ein Reframing: Die eigenen Perspektiven wieder ins richtige Lot rücken. Wie gut es uns geht in Österreich, in Europa. Wieviel gäbe es für jeden von uns zu tun. Hier wie dort.
Kontonummer: AT09 3500 0000 0816 0566
Wenn Sie Interesse an einem ehrenamtlichen Arzteinsatz mit den Austrian Doctors haben, dann treten Sie gerne mit dem Büro in Salzburg in Kontakt: office[at]austrian-doctors.at oder +43 664 150 7888