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Die Arbeit der Austrian Doctors in Bangladesch

Im Jahr 2008 gründeten die Ärzte Dr. Werner Waldmann und Dr. Christian Gruber den gemeinnützigen Verein Austrian Doctors. Der Ursprung geht aber viel weiter – bis ins Jahr 1989 – zurück. Im med.ium erzählen die beiden Gründer über ihre persönlichen Erlebnisse und die Arbeit der Austrian Doctors in Bangladesch.

Von Severin Schwaiger M.A., Mag. Christoph Schwalb. Fotos: Austrian Doctors | med.ium 9+10/2024 | 9.10.2024

Dort, wo das Elend zum Alltag gehört, Bildung trotz Schulpflicht nicht verfügbar ist und basismedizinische Versorgung ein Luxusgut ist – genau dort arbeiten sie. Die Austrian Doctors sind heutzutage in vier Ländern mit medizinischen und mit Bildungsprojekten vertreten. Die Schwerpunkte sind die Slumgebiete von Dhaka (Bangladesch) und Kolkata (Indien) sowie sehr abgeschiedene Regionen in Kenia und Äthiopien.

In den Schulen bekommen die Schulkinder gratis ein warmes Mittagessen – für viele der bedürftigen Eltern eine große Motivation, ihre Kinder in die Schule zu schicken. So erhalten die  Kinder jene Bildung, die ihnen eine bessere Zukunft eröffnet. Und bekanntlich lernt es sich ja mit vollem Magen auch viel leichter. Durch basismedizinische Projekte wird den Menschen in den Armensiedlungen der Zugang zur medizinischen Versorgung ermöglicht.

Dr. Werner Waldmann, Gründer Austrian Doctors – Dhaka, 1989: wie alles begann ... „You have to come to Dhaka!“

Ich war in Howrah, Kalkutta, wo mich Babul, der 20-jährige Bangladeschi besuchte. Er war der Koch unseres neuen Projekts in Dhaka, im Armenhaus der Welt. Bei meinem zweiten medizinischen Einsatz kämpfte ich in Kalkutta, überwältigt von Krankheit und Not, mit meinem Überleben. Ich sollte nach Dhaka gehen, dort sei es „ganz schlimm“.

Ein Jahr später saß ich in einer Fahrrad-Rikscha mit einem verhungerten Kind auf meinen Knien. Einige Tage vorher war ich in Dhaka angekommen, die Krankenstation war erst im Aufbau, es gab keinen Untersuchungsraum, kein Wasser, kein Liegebett. Wir waren die (fast) ohnmächtigen Ersthelfer auf dem „Schlachtfeld des Lebens“. Aber eben nur fast. Wir säuberten die Wunden, entfernten die Eiterkrusten, verbanden die Verletzungen, verteilten Schmerzmittel und legten unseren Arm über zuckende Schultern. Und ja, auch Nahrung haben wir an Verhungernde verteilt.

Es vergingen Wochen und das Elend schien nur zu wachsen. Für mich waren meine Einsätze in Tonda-Manila schlimm, in Kalkutta schlimmer und in Dhaka schier unerträglich. Und trotzdem fuhr ich in den nächsten 15 Jahren alle Jahre wieder zu „meinem“ Projekt, zu „meinen“ Armen. Warum? Irgendwann hatten wir zusätzliches Geld, konnten einen Brunnen schlagen, ein Flugdach errichten, 1.500 Menschen konnten trinken, blieben im Monsun-Regen trocken. Wir errichteten eine Bambushütte als Ambulanz, sie diente auch als Schule in dem Slum. Unsere Patient*innen wurden geimpft, sie nahmen unsere Hygieneempfehlungen an. Die Geburtenrate sank, doch die Kinder blieben am Leben.

Wir bauten neue Schulen, zuerst aus Wellblech, dann richtige Gebäude. Die Bildung der Menschen wuchs. Bangladesch war nicht mehr Schlusslicht! Pflicht erfüllt – Aufgabe beendet? Wenn es so wäre!

Der damals junge Babul ist nun 60 Jahre – voller Erfahrung. Er ist unser Garant vor Ort, ehrlich, intelligent und noch immer voller Tatendrang.

Dr. Christian Gruber, Gründer Austrian Doctors – Dhaka 2024

Seit 2002 komme ich in regelmäßigen Abständen nach Dhaka/Bangladesch, zumeist zur Mitarbeit in unserem medizinischen Projekt. Jedes Jahr stelle ich mir die Frage neu: Wie hat sich das Leben für die Menschen hier verändert? Gibt es überhaupt Veränderung, und wenn ja, welche? Das Bild ist gemischt. Bereits der stundenlange Stau im Verkehrschaos der Stadt lässt Zweifel am Wandel aufkommen. Luftverschmutzung und Lärm tun das Ihre dazu. Die Zahl der Menschen in diesem Moloch, dieser Megacity, steigt unaufhörlich.

Ankunft im Schulprojekt in Manda. Hunderte Schulkinder warten mit ihren Lehrer*innen zur Begrüßung. Manda ist die größte unserer Schulen, insgesamt besuchen täglich fast 2.000 Kinder unsere Bildungseinrichtungen in Dhaka. In der  Nachbarschaft das medizinische Projekt, angesiedelt im Erdgeschoß des neuen Trainingcenters. Von hier aus starten wir auch in unsere Slumambulanzen.

Die Corona-Pandemie war ein Wendepunkt in unseren medizinischen Projekten. Ausländische Ärzt*innen konnten nicht mehr einreisen, und die Betreuung der Patient*innen musste anders organisiert werden. Einheimische Mitarbeiter, vom Übersetzer bis zum Pharmazeuten, waren immer ein wichtiger Teil der Projekte. Sie waren unsere Brücke zu den Menschen. Einheimische Ärzte waren lange nicht Teil der Projektplanung. Warum? Es gibt zu wenige von ihnen, und das Interesse an den vielen kranken Armen in den Slums war bei den meisten gering.

Dies hat sich geändert. Aktuell arbeiten zwei Mediziner aus Bangladesch in Hauptverantwortung, wir Ärzt*innen aus Österreich ergänzen ihre Arbeit. Kontinuität in der Betreuung unserer Patient*innen, gute lokale Vernetzung, fehlende Sprachbarrieren sind nur einige Vorteile dieser neuen Struktur.

Geht man zurück ins Jahr 1989 und liest die Schilderungen von Dr. Werner Waldmann, erfüllt es mich mit Freude, all diese Entwicklungen und Veränderungen zu sehen.

Aber trotz signifikanter Fortschritte in den letzten Jahrzehnten bleibt Armut in Bangladesch ein zentrales Problem für viele Menschen. Neben Bevölkerungswachstum und Naturkatastrophen sind auch politische Strukturen dafür verantwortlich. Mit unserem Angebot von Medizin, Schule, Berufsbildung und Sozialarbeit, zukünftig auch im ländlichen Raum, liegen wir richtig, werden aber weiterhin gebraucht.

Interview

Dr. med. Christian Gruber, Arzt für Innere Medizin, Infektiologie und Tropenmedizin

Herr Dr. Gruber, was ist Ihr persönlicher Antrieb, sich neben ihrer Arbeit als Internist noch ehrenamtlich für die Austrian Doctors zu engagieren?

Mein erster medizinischer Einsatz in Bangladesch war im Jahr 2002. Die Möglichkeit, neben meiner Arbeit hier in Österreich, zeitlich befristet in Projekten von Austrian Doctors mitzuarbeiten, war und ist ein einzigartiges Format.  Gemeinsam mit den einheimischen MitarbeiterInnen und zumindest einem Kollegen/einer Kollegin aus Österreich oder Deutschland fuhren wir in verschiedene Slums in Dhaka, um die Menschen ärztlich zu betreuen.

Welchen Sinn haben Ihrer Meinung nach ärztliche Einsätze in Entwicklungsländern wie Bangladesch?

Mit Werner Waldmann, dem Gründer von Austrian Doctors, habe ich anfangs oft über den Sinn unseres Tuns gesprochen. Es waren einige kluge Überlegungen, an die ich mich erinnere: „Man kann nicht die ganze Welt retten“: man muss lernen zu fokussieren, fokussieren auf den einen Menschen, der jetzt gerade vor mir sitzt, mein Patient ist. „Das Gänseblümchen bewässern, das vor einem steht“, nannte es Werner Waldmann.

„Es braucht mehr als ärztliche Behandlung, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken“: wer einen Fahrradschlauch mit Löchern nur immer wieder aufpumpt, wird am grundlegenden Problem nichts ändern. Wer den Fahrradschlauch flickt und dann wieder aufpumpt, schafft das Problem längerfristig aus der Welt. Unsere Fahrradflicken sind mittlerweile die Schulen mit Bildungsmöglichkeit und einer qualitativ hochwertigen Mahlzeit. Täglich für über 2000 Kinder aus den Slums in Dhaka allein. Bildung und Ausbildung! Es ist Zugang zu sauberem Wasser und Latrinen. Es sind Impfungen, Geburtenkontrolle, Stipendien u.v.m., alles Teile unseres Engagements.

 Was macht es mit Ihnen, diese Armut und teilweise auch das massive Leid zu sehen, gerade wenn Sie zwischen Ihrer Heimat Europa und Ihren Einsatzgebieten in Südasien hin und her reisen?

Neben der Vielzahl an medizinischen Problemen, ist es die bittere Armut dieser Menschen und das scheinbare Fehlen von Perspektiven, die ein Gefühl von Ohnmacht aufkommen lassen. Das Leid, die Hilflosigkeit der Vielen, die Arbeit in Hitze und Dreck, lassen einen immer wieder an der Sinnhaftigkeit seines Tuns zweifeln.

Jedoch rechtfertigt jedes einzelne Leben, das wir durch unsere Arbeit zum Positiven verändern können, unser gesamtes Tun. Sei es eine junge Mutter, die mit ihrem kranken Baby in unsere Station kommt und bei uns die medizinische Versorgung bekommt, die sie dringend benötigt; sei es der betagte Rickschahfahrer, dessen ganzer Körper vom harten Leben gezeichnet ist, und den wir durch unser Team vor Ort behandeln können, oder seien es die tausenden Schulkinder und jungen Erwachsenen, die in unseren Schulen und im Training Center das Rüstzeug für eine bessere Zukunft bekommen.  All diese positiven Entwicklungen zu sehen, erfüllt mich mit Freude und Stolz, und zeigt mir jedes Mal aufs Neue, wie wichtig unsere Arbeit weiterhin ist. Ganz getreu unserem Motto: Das Glück, helfen zu können

Sie waren ja selbst schon über 10-mal im ehrenamtlichen Arzteinsatz. Haben Sie ein Erlebnis aus dieser Zeit, dass Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist bzw. Sie besonders geprägt hat?

In entlegenen Gebieten Afrikas konnten wir neben Zugang zu sauberem Wasser durch Brunnenbau, Solarenergie für Mensch, Tier, Ackerbau und Bäume schaffen. Sie ergänzen unser ärztliches Tun, haben es vielmehr oft schon abgelöst. Einheimische Mediziner stehen auf unserer Gehaltsliste, Corona machte es nötig, sie ergänzen die Arbeit der ausländischen Ärzte. Viele von uns, die in diesen Ländern als Ärzte waren, fühlen sich verantwortlich, für die Menschen, denen sie über ihre Einsätze näherkamen. Wir sind eine Menschheit auf dieser Erde, wir sind füreinander verantwortlich. Gemeinsam überleben wir oder gehen unter. Erfreulicherweise teilen mittlerweile viele Menschen unsere Ideen und unser Engagement, um die nötigen Ressourcen zu ermöglichen.

Ist es aktuell möglich, sich als Ärztin oder Arzt ehrenamtlich in den Projekten der Austrian Doctors zu engagieren? Wenn ja, wie läuft das ab?

Ja, die ehrenamtlichen medizinischen Arzteinsätze sind aktuell in Bangladesch möglich. Die MedizinerInnen aus Österreich unterstützen das Team vor Ort – beide Seiten profitieren davon enorm. Außerdem hat man in Bangladesch ganz andere Erfahrungen, man sieht ganz andere Krankheitsbilder als in Österreich – sei es in unserer fixen Klinik im Stadtteil Manda, Dhaka, oder in unserer Mobile Clinic, mit der jeden Tag andere Armengebiete der Hauptstadt angefahren werden.

Mehr Infos:

www.austrian-doctors.at 

Die Austrian Doctors freuen sich, wenn auch Sie ihre Arbeit unterstützen:

Kontonummer: AT09 3500 0000 0816 0566

Wenn Sie Interesse an einem ehrenamtlichen Arzteinsatz mit den Austrian Doctors haben, dann treten Sie gerne mit dem Büro in Salzburg in Kontakt: office[at]austrian-doctors.at oder +43 664 150 7888