Von Primar Dr. Christian Jagsch | Mag. Christoph Schwalb | med.ium 5+6/2024 | 17.6.2024
Das Delir ist in bis zu 40 Prozent der Fälle vermeidbar und bei rechtzeitiger Diagnose auch gut behandelbar, erklärt Primar Dr. Christian Jagsch aus der Abteilung für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie am LKH Graz.
Im klinischen Sprachgebrauch werden die Begriffe „akuter Verwirrtheitszustand“, „Durchgangssyndrom“ und „organisches Psychosyndrom“ noch immer häufig als Synonyme für Delir gebraucht. Das subjektive Erleben von einem Delir ist überwiegend negativ, die Betroffenen fühlen sich hilflos und unfähig zu kommunizieren.
Es werden klinisch drei Formen des Delirs unterschieden:
Laut ICD-10-Klassifikation (F05) werden folgende diagnostische Kriterien gefordert: Störungen des Bewusstseins, der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung, des Denkens, des Gedächtnisses, der Psychomotorik
(hyperaktiv, hypoaktiv, gemischt), der Emotionalität sowie des Schlaf-Wach-Rhythmus. Der Beginn ist gewöhnlichakut, im Tagesverlauf wechselnd, die Gesamtdauer der Störung beträgt weniger als sechs Monate. Das Delir kann in jedem Alter auftreten, am häufigsten jedoch jenseits des 60. Lebensjahrs – und es wird zwischen einem Delir ohne und mit Demenz unterschieden. Aus neuropsychologischer Sicht stellt das Delir vordergründig eine globale Aufmerksamkeitsstörung dar, bedingt durch eine individuelle Vulnerabilität, auf die auslösende Faktoren/Noxen treffen.
Pathophysiologisch werden verschiedene Hypothesen diskutiert, wie ein Ungleichgewicht der Neurotransmitter Acetylcholin und Dopamin mit einem cholinergen Defizit und einem relativen dopaminergen Überschuss, weiters ein Vorliegen einer Dysregulation der Hypothalamus-Hypophysen-Achse, resultierend in erhöhten Cortisolspiegeln und schließlich das Vorliegen einer Neuroinflammation und Aktivierung der Mikroglia als Antwort zerebraler Immunzellen auf periphere Entzündungsprozesse. Auch das Vorliegen einer direkten Hirnschädigung durch Hypoxie und Ischämie kann seine Auswirkungen zeigen.
Auch beim Delir sind in erster Linie präventive Maßnahmen entscheidend, um die Entstehung zu verhindern, dann die Behandlung und Beseitigung der auslösenden Faktoren und bei ausgeprägten Fällen eine unterstützende psychopharmakologische Behandlung, welche so kurz wie möglich verabreicht werden soll.
Unter präventiven Maßnahmen werden zusammengefasst:
Aus der Identifizierung der auslösenden Faktoren ergibt sich die Behandlung, wie fremde Umgebung sowie Beschränkungen und Fixierungen zu vermeiden, Behandlung von Flüssigkeitsdefiziten, Schmerzen und Schlafstörungen, Elektrolytstörungen und anderer somatischer Erkrankungen und Überprüfung der laufenden Medikation.
Eine psychopharmakologische Behandlung ist erforderlich bei einem hyperaktiven Delir mit Angst und Agitation, welches zu einer selbst- und/oder fremdgefährdeten Situation geführt hat.
Auf Nebenwirkungen bei einer antipsychotischen Therapie sind zu achten, wie extrapyramidal motorische Symptome, QTc-Verlängerungen, Störung des Glucosemetabolismus und Sturzgefahr.
Die Diagnostik und Behandlung des Delirs sind von immenser Bedeutung, unbehandelt kommt es zu erhöhter Morbidität und Mortalität, sowie zu vermehrten Einweisungen in Pflegeheime.
Das Delir ist eine akute neuropsychiatrische Störung, die sich durch plötzliche und fluktuierende Zustände von Verwirrtheit mit Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen auszeichnet. Etwa 25 Prozent der geriatrischen Patient:innen auf Allgemeinstationen und bis zu 80 Prozent auf Intensivstationen entwickeln ein Delir. Die Störung manifestiert sich schnell und zeigt im Tagesverlauf unterschiedliche Intensitätsgrade. Betroffene erleben akute Verwirrtheit, Apathie, Unruhe und in manchen Fällen auch aggressive Verhaltensweisen.
Die genaue Pathophysiologie ist komplex und nicht vollständig verstanden, aber sie involviert eine Dysregulation der Neurotransmitter, insbesondere von Acetylcholin und Dopamin, sowie entzündliche Prozesse, die durch Infektionen, Operationen oder andere Stressfaktoren ausgelöst werden können. Frühzeitige Diagnose und adäquate Behandlung können die Symptome rasch abklingen lassen, während unbehandelte Fälle zu langfristigen kognitiven Schäden führen können.
Aufgrund der hohen Prävalenz und potenziell reversiblen Natur des Delirs wird empfohlen, alle Patient:innen über 65 Jahre regelmäßig zu screenen. Wichtige diagnostische Werkzeuge dabei sind klinische Tools wie die Confusion Assessment Method (CAM) und die Delirium Rating Scale (DRS), die helfen, die Präsenz und das Ausmaß der Desorientierung, Verwirrtheit und anderen kognitiven Störungen zu beurteilen.
Die Behandlung des Deliriums erfordert einen multidisziplinären Ansatz, der medizinische, verhaltensbezogene und umweltbedingte Interventionen umfasst. Medikamentöse Behandlungen können den Einsatz von Neuroleptika umfassen, um schwere Agitation oder Psychosen zu kontrollieren. Nicht-medikamentöse Ansätze sind zentral in der Behandlung und Prävention von Delirium. Dazu gehören die Orientierungshilfen für die Patient:innen, die Optimierung der sensorischen Umgebung (z.B. das Tragen von Brillen und Hörgeräten), die Förderung eines normalen Schlaf-Wach-Rhythmus und die Vermeidung von unnötigem Stress (u.a. übermäßig Lärm und Licht).
Präventive Strategien sind entscheidend, um das Risiko eines Deliriums zu minimieren. Das Pflegepersonal spielt dabei eine zentrale Rolle, indem es Patient:innen frühzeitig über den Ablauf ihres Krankenhausaufenthalts informiert, um stressbedingte Triggern zu vermeiden. Strukturierte Tagesabläufe und die Einbeziehung der Angehörigen tragen dazu bei, den Patient:innen Orientierung und ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln.
Das Delir ist und bleibt eine große Herausforderung in der Geriatrie, da es mit einer hohen Morbidität und Mortalität verbunden ist und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Die frühzeitige Erkennung und umfassende Behandlungs- und Präventionsstrategien sind entscheidend, um die Auswirkungen dieser klinisch bedeutsamen geriatrischen Komplikation zu minimieren. Aus diesem Grund ist eine fachübergreifende Zusammenarbeit von Pflegepersonal, Ärzten und Therapeuten unerlässlich, um ein optimales medizinisches Outcome für die Patient:innen zu gewährleisten.
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