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Ausbildung Chirurgie: fit für die Zukunft und attraktiv

Die Medizin ist weiblich, die Hälfte der angestellten Ärzteschaft in Österreich sind Frauen. Das spiegelt sich auch im Fach Allgemein- und Viszeralchirurgie wider. Ein Gespräch mit der chirurgischen Fachärztin und stellvertretenden Vorsitzenden der Young Surgeons Austria Dr. Iris Mühlbacher, wie die zukünftige Chirurgie-Ausbildung aussehen könnte.

Von Mag. Christoph Schwalb | med.ium 9+10/2025

Neben ihrer Tätigkeit als Fachärztin für Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie ist Dr. Iris Mühlbacher als stellvertretende Vorsitzende der Young Surgeons Austria (YSA) auch Anlaufstelle für alle Jungchirurg*innen. Sie hat heuer ihren Facharzttitel erlangt und spricht über ihre Wünsche für die chirurgische Ausbildung der Zukunft. Die junge Generation der heutigen Ärztinnen und Ärzte arbeitet mit genauso viel Leidenschaft wie die davor, doch äußert sie ihre Vorstellung von erfüllenden Arbeitsbedingungen vehementer.

Die Grundidee der YSA, deren Vorstandsvertreter*innen in jedem Bundesland sitzen, ist die Vernetzung sowie der rege Austausch zwischen der Österreichischen Gesellschaft für Chirurgie OEGCH und den Ärztekammern der einzelnen Bundesländer. Die Hauptaufgabe der YSA ist es, Fortbildungen zu organisieren. Aktuelle Projekte beschäftigen sich mit der Tätigkeit schwangerer Ärztinnen im OP-Saal oder mit den Rotationsbörsen, die bis dato aus rechtlichen Gründen nicht umgesetzt wurden. An diesen Themen wirken die YSA mit und stehen im regen Austausch mit Gesetzgebern und Leitungspositionen. 

Im Gespräch schlägt die junge Chirurgin fünf Verbesserungspunkte vor (siehe Kasten), um die Ausbildung zukunftsfit und attraktiv für den Nachwuchs zu gestalten. Einer der wichtigsten Punkte, gerade für die heutigen Ärztinnen, sei zu verdeutlichen, dass Kinder zu bekommen nicht das alleinige „Problem“ der Mutter sei, sondern alle betrifft. Sowohl Partner*innen in Paarbeziehungen wie auch KollegInnen im Arbeitsumfeld. Gerade hierfür seien Vorbilder wünschenswert, so Dr. Mühlbacher. 

Aufgabenbereiche während der Ausbildung

Die junge Fachärztin erzählt von ihrer erfolgreich absolvierten Ausbildung und den Bereichen, auf die sie sich spezialisiert hat. In ihrem ersten Spektrum auf Organe, dem oberen Gastrointestinaltrakt, gibt es die funktionelle Chirurgie, etwa die Refluxchirurgie (bei Sodbrennen und Zwerchfellbrüchen). Ihr zweites Spektrum umfasst die Hernien-Chirurgie, für die Salzburg über eine Spezialambulanz verfügt, die Dr. Mühlbacher als Fachärztin betreut: „Eine gutes Fundament, auf dem wir aufbauen können.“ 

Zu Beginn lernt man auch die Patientenversorgung abseits des Operationssaals kennen. Ein wesentlicher Aspekt, um Indikationsstellungen und Notfallsituationen in den Ambulanzen klinisch einordnen zu können. Die klassischen Anfängerbehandlungen unter Supervision sind Kleineingriffe wie Lipome, Abszesse und eingewachsene Zehennägel (Unguis incarnatus). Im Notfall- Setting beginnt man meistens mit Blinddarmoperationen, Gallenblasenentfernungen und Bruchoperationen, also Leistenhernie oder Bauchnabelbrüche. Die Klassiker in den ersten Ausbildungsjahren, um die Fertigkeiten zu erlernen. 

Im weiteren Ausbildungsverlauf gibt es in der Chirurgie fünf Schwerpunkte-Module, davon drei obligate, mit Richtzahlen (Anzahl an zu absolvierenden Operationen), in der onkologischen Chirurgie etwa, wo man bösartige Tumore im Bauchraum operiert. Das beginnt von Dickdarmtumoren bis hin zu Magentumoren oder Bauchspeicheldrüsenkrebs. Diese Operationen erlernt man in der Ausbildung zu Beginn über Teilschritte. Assistiert, bis man diese Operationen zu Ende der Ausbildung auch selber durchführen kann. 

Vorschläge zur Verbesserung der Ausbildung Chirurgie

Vorschlag 1: Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten und Teilzeitmodellen. 

Vor allem das Angebot an Kinderbetreuung und flexiblen Teilzeit-Arbeitsmodellen ausbauen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre die Anpassung der Gesetzgebung hinsichtlich Arbeitseinsatz von Schwangeren. Oft stelle schon die Bekanntgabe einer Schwangerschaft beim Arbeitgeber/am Arbeitsplatz einen Nachteil dar, der gerade in der Chirurgie unmittelbare Auswirkungen auf das Arbeitsumfeld einer Ärztin habe. 

Vorschlag 2: Nachteile von Schwangeren in der Ausbildung minimieren. 

Die Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe plädiert dafür, jene Gesetze zu überarbeiten, die den Arbeitseinsatz schwangerer Chirurginnen regeln. Etwa risikolose Fachbereiche zu definieren wie die Endoskopie, in denen Frauen in der anfänglichen Schwangerschaft weiterhin arbeiten können. 

Vorschlag 3: Frauen in der Ausbildung und zurückkehrende Mütter fördern. 

Einige ihrer Kolleginnen sitzen wie Dr. Mühlbacher in Fachgremien, vorgeschlagen von ihrem Vorgesetzten Prim. Univ.-Prof. Dr. Klaus Emmanuel, Klinikvorstand der Uniklinik Salzburg für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie. „Im Allgemeinen werde in der Chirurgie-Ausbildung auf Geschlechtergleichheit geachtet“, so die Fachärztin.Sie schlägt vor, Teams mit erfahreneren Kolleginnen und Kollegen einzusetzen, um die Rückkehrerinnen wiedereinzugliedern und sich um sie zu kümmern (Re-Onboarding). 

Vorschlag 4: Probleme in der Ausbildung praktikabel lösen. 

Die klassische Chirurgie-Ausbildung besteht aus fünf Schwerpunkten, von denen drei ausgewählt werden müssen. Davon abhängig sind die im Ausbildungskatalog zu erreichenden Richtzahlen. Anzugehende Probleme sind:

  • Mehr Transparenz und Katalogisierung von OP-Kleineingriffen: viele davon sind nicht für die Ausbildung katalogisiert
  • Darüberhinausgehende Spektren sind eigenmächtig zu erlernen, obwohl man meist in einer Klinik allein nicht alle Spektren erlernen kann
  • Versicherungsschutz: deckt oftmals verschiedene Arbeitsorte nicht ab; Positivbeispiel Schweiz: dort sind im Ausbildungsvertrag mehrere Einsatzorte versicherungsschutztechnisch abgedeckt

Vorschlag 5: Anreize für die Niederlassung bereits in der Ausbildung schaffen. 

Die Ausbildung sollte laut Dr. Mühlbacher die Niederlassung mehr attraktivieren. Ihr Vorschlag für Zukunft: positiv aufzeigen, wie und wo man sich als Fachärztin niederlassen kann, z. B. in der Dermatologie, Urologie oder Gynäkologie. Auch bessere Honorartarife würden helfen, um die Niederlassungsbereitschaft zu attraktivieren, um als Ärztin oder Arzt für erbrachte Leistungen nicht „draufzuzahlen“.

Frauen bei der Rückkehr aus der Karenz in den Job fördern

Durch ihre Ausbildung und YSA-Mitgliedschaft kennt Dr. Mühlbacher Fälle von jungen Chirurginnen mit Kindern. Es gibt jene, die die Kinderplanung aus Angst vor Benachteiligung auf die Zeit nach der Ausbildung verlegen, und solche, die in der Ausbildung Kinder bekommen haben. Die Rückkehr in den Beruf war für diese jedoch extrem schwer, da in der Zwischenzeit andere an ihre Position gerückt sind. 

Arbeitszeitmodelle wie Gleitzeit und Teilzeit oder geteilte Führungspositionen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf seien Punkte, die man auf der mittleren Führungsebene verbessern könnte, aber Sache des Krankenhausträgers sind, so Dr. Mühlbacher. Für sie eine klare Frage der Organisation wie auch die krankenhausinterne Kinderbetreuung.

„Du warst so lange weg, du hast jetzt keine Chance mehr, außerdem bist du eh nur noch 80 Prozent der Zeit da und in dieser Zeit wirst du nicht erreichen können, was andere jemals erreichen werden. Kümmere dich um den Bürokratiejob!“ Diese Geschichten kennen viele Ärztinnen mit Kind, so die Fachärztin. Klarerweise müsse man die durch angehende Mütter vorübergehend freiwerdende Stelle nachbesetzen. 

Dennoch solle man zumindest versuchen, dass Ärztinnen, die aus der Karenz zurückkehren, in ein Team kommen, das sie bewusst fördert, appelliert Mühlbacher. Um ihnen den Wiedereinstieg zu ermöglichen – mit Teilzeitmodellen, ohne Nachtdienste. Das mache es speziell in der Chirurgie schwerer, da sie dort mit der Stundenanzahl am Maximalpensum arbeiteten. Natürlich sei der Aufwand höher, drei 50-prozentige Stellen zu koordinieren anstelle einer 100-prozentigen, so die Chirurgin.

Chirurgie wird oft als nicht so attraktiv angesehen, weil man sich schwerer niederlassen kann

Ein weiterer Aspekt, den die Ausbildung Chirurgie ernster nehmen sollte: den Auszubildenden Wege und Möglichkeiten aufzeigen, wie man sich niederlassen kann. „Denn in Österreich ist ja auch die Endoskopie ein Teil der Chirurgie, also Magen- und Darmspiegelungen. Das heißt, damit könnte man gut in die Niederlassung gehen. Aber da fehlen positive Beispiele“, so Dr. Mühlbacher. 

Sie wünscht sich, dass man das zum fixen Bestandteil der Ausbildung macht: 

  • Wie baue ich meine Ordination auf?
  • Wie kann ich das mit den Kassenverträgen
    lösen, etc.?

Das wäre sicher eine Möglichkeit, um prinzipiell den Beruf wieder attraktiver zu machen, auch für verschiedenste Lebensmodelle, ist die junge Fachärztin überzeugt. 

„Als Alternative zur Klinik wählen viele im Medizinstudium jetzt Fächer, wo man genau weiß, die wählen das, weil sie sich niederlassen können“, so die junge Ärztin. Und es gibt ja viele kleinere, chirurgische Fächer, die eben diese Niederlassung bieten, wie etwa Dermatologie, Plastische Chirurgie, Urologie oder Gynäkologie.“ Die Niederlassung als zweites Standbein leichter machen, um sie auch anhand besserer Bezahlung für kleinere chirurgische Eingriffe attraktiver zu gestalten, das wäre ihr abschließender Wunsch.

Interview mit Dr. Iris Mühlbacher

med.ium: Wie war Ihre Ausbildung zur Fachärztin für Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie, die Sie heuer abgeschlossen haben? 

Dr. Mühlbacher: Prinzipiell war ich sehr zufrieden mit meiner Ausbildung, insbesondere was die Frauenthematik angelangt, habe ich wenig negative Erfahrung gemacht. Im Gegenteil: von Anfang an habe ich von Führungspositionen das Gefühl bekommen, dass man immer mehr versucht, Frauen in den Vordergrund zu rücken. Klar, es gibt noch die Differenz, dass in Führungspositionen primär tätig sind, aber der Nachwuchs ist mittlerweile weiblicher. Mehr als die Hälfte der Ausbildungsärzte sind Assistenzärztinnen. Dementsprechend kommt an dem Thema niemand vorbei und das habe ich auch gespürt in meiner Ausbildung. 

Ich zum Beispiel bin durch meinen Chef Univ.-Prof. Dr. Klaus Emmanuel in die Position gekommen, dass ich in der österreichischen Gesellschaft für Chirurgie (Dachverband) im Vorsitz mitmachen darf. In der Rolle der Assistenzärzt*innen-Vertreterin, die ich seit Beginn meiner Tätigkeit innegehabt habe. Ich habe schon das Gefühl gehabt, das wird ernstgenommen und dass man bewusst in diesen Positionen auch Frauen einsetzt, um Frauen in der Chirurgie zu stärken. 

med.ium: Was läuft gut und was könnte man verbessern? 

Dr. Mühlbacher: Es gibt sicherlich noch sehr, sehr viel Optimierungsbedarf, was das Ganze angeht. Mein Hauptthema ist immer wieder, dass man als Frau gefragt wird: „Was könnte man für euch besser machen, damit es für euch leichter ist, wenn ihr Kinder bekommt?“ Das Thema unserer Generation, dass Kinder kriegen nicht reine Frauensache sein darf, sondern das ist ein Thema von dem Paar, dass das Kind bekommt. Und wenn man „Kinder kriegen ist Frauensache“ von der Frau wegnimmt, dann ist es eben nicht nur Angelegenheit der Frau, sondern dann betrifft es alle. 

Und dann sind auch diese Benachteiligungen weniger, die man dann verspürt. Aber das ist natürlich eine Mindset-Sache, die über Jahre sich hinwegsetzen wird, bis man das dann auch adäquat anpassen kann. Was helfen könnte, sind Vorbilder, aber die gibt es de facto zu wenig. Und um Frauen die Möglichkeit zu geben, braucht es Kinderbetreuungsstätten, die in der Kernarbeitszeit da sind und am besten im Betrieb verankert sind. 

Wenn ich schwanger bin, wo gehe ich da hin, wem und wann erzähle ich das? Das ist ja schon oft eine Schwierigkeit. Die Gesetzeslage ist so, dass man, sobald man schwanger ist und seinen Vorgesetzten in Kenntnis setzt, nicht mehr im OP tätig sein darf. Was natürlich gerade in der Ausbildung von Nachteil ist, weil man dann neun Monate gar nichts vom OP sieht. Das sind Dinge, die gesetzlich angepasst werden sollten. Über die Jahre habe ich diverseste Formen erlebt, von „Man sagt es gar nicht, obwohl es alle wissen“ bis hin zu „Man sagt es und wird dann in irgendeinem Kammerl abgestellt, wo man nur noch hinterm Computer sitzt“. Dabei gäbe es verschiedene Wege, um es individuell an die Frau anzupassen und es ihr zu erleichtern. Dass die, die weiteroperieren wollen, auch die Möglichkeit dazu haben. 

med.ium: Wo sehen Sie Möglichkeiten, das zu ändern? 

Dr. Mühlbacher: Dafür gibt es im deutschsprachigen Raum Vorbilder, zum Beispiel haben die Jungen Gynäkologinnen in Österreich ein Positionspapier herausgebracht, wo man dezidiert unbedenkliche operative Tätigkeiten beschreibt, die anhand der aktuellen wissenschaftlichen Lage keine Gefahr für das ungeborene Kind darstellen. 

Die ganze Chirurgie-Ausbildung ist in Rotationen ausgebaut, wo man alle Fachbereiche sieht, und theoretisch möglich wäre zu sagen, dass man in dieser Zeit der Schwangerschaft in einen Fachbereich geht, wo es um Endoskopie geht oder ich Dinge lerne, wo das Risiko, sich zu verletzen, sehr gering ist. Für mich in der Ausbildung aktuell das größte Problem ist – kein rein frauenspezifisches Problem – der Wandel des Gesundheitssystems. Es wird viel zentralisiert und in der Peripherie hat man viele Grundversorgungseinrichtungen, die diese ganzen „Anfänger-Operationen“ durchführen, also viele Kleineingriffe. Die aber gerade zu Beginn einer Ausbildung das sind, was im OP-Katalog auch absolviert werden sollte. Und es gibt in Österreich eigentlich kein wirkliches Konzept, wie man diese Eingriffe dann auch in seinem Ausbildungskatalog erreichen soll. 

med.ium: Sie sprechen sich also für noch mehr Transparenz in den Ausbildungsinhalten aus?

Dr. Mühlbacher: Ich hatte das Glück, dass unsere Klinik zwei Standorte hat, einen kleineren Standort und den größeren Standort. Und wir innerhalb unseres Krankenhauses einfach als fixe Rotation dabeihaben, dass jeder in der Ausbildung auch in das kleine Krankenhaus rotieren muss. Jetzt weiß ich aber von vielen Kollegen, die ich eben zum Beispiel über die Young Surgeons kennengelernt habe, dass es bei denen nicht so ist. Also die sind entweder in einem kleinen Krankenhaus oder in einem großen Krankenhaus. Und nur eigentlich dann über Hospitationen oder eben aktive Weiterbildung im Sinne von Fortbildungen können sie dann auch Spektren erlernen, die gar nicht in ihrer Klinik angeboten werden. Und das ist so ein zentrales Thema in der chirurgischen Ausbildung, glaube ich, dass das immer wichtiger werden wird. 

Ideal wäre ein bundesländerübergreifender Plan, der dezidiert festlegt, wer wann was können muss und dann in die entsprechenden Häuser rotiert, wo man das erlernen kann. In Zukunft wird es wohl nicht mehr möglich sein, das komplette Spektrum der Chirurgie in einem Haus zu erlernen. Das sollte noch transparenter nach außen definiert werden: „In diesem Krankenhaus wirst du als Assistenzart dieses und jenes operieren.“ Zum Beispiel auch auf der Website, damit ich weiß, das fehlt mir noch und dafür bewerbe ich mich dort
an diesem Krankenhaus.

med.ium: Wie könnte weniger Bürokratie und mehr Praxis aussehen?

Dr. Mühlbacher: Das ist ein seit Jahren wiederkehrendes Thema, das auch an den gesetzlichen Grundlagen und am mangelnden Versicherungsschutz zwischen den verschiedenen Häusern scheitert. Jedes Mal, wenn ich in eine neue Klinik gehe, benötige ich aufwändigerweise einen anderen Vertrag samt Versicherungsschutz. In der Schweiz gibt es ein verpflichtendes Rotationsmodell mit einem Ausbildungsvertrag, mit dem ich in jeder Klinik einsetzbar bin. 

med.ium: Danke für das Gespräch.

Der Universalist in der Chirurgie ist Vergangenheit

Standespolitische Aussage von Priv.-Doz. Dr. Jörg Hutter

Nach 30 Jahren als Facharzt für Chirurgie, in der ich sowohl zum Facharzt für Allgemein- und Viszeralchirurgie ausgebildet wurde als auch die Thoraxchirurgie erlernt habe, getraue ich mir zu sagen, dass diese Form der Ausbildung heute kaum noch möglich ist und sie auch nicht mehr zeitgemäß ist. Dass dies heute kaum noch möglich ist, erklärt sich allein durch die geänderten Rahmenbedingungen speziell, was die Arbeitszeit betrifft, aber auch die hohe Anzahl der Kolleg*innen in Ausbildung und dem hohen Grad der Spezialisierung.

Der hohe Grad der Spezialisierung zeigt sich ja nicht nur in der Chirurgie, sondern in allen medizinischen Sonderfächern. In Zukunft werden im Bundesland Salzburg die chirurgischen Leistungen nur noch an wenigen Standorten gebündelt werden. Dies mag für einzelne unattraktiv erscheinen, ist jedoch den Frequenzen speziell hochkomplexer Eingriffe aber auch Hochfrequenzeingriffen (z. B. Hernienchirurgie) geschuldet. Damit wir uns das alles auch noch in Zukunft leisten können und dies vor denen, die für die Finanzierung zuständig sind, rechtfertigen können, werden Zertifizierungen gefordert werden. Dass Kliniken, die heute ein sehr umschriebenes Spektrum haben, sehr attraktiv für Kolleg*innen sein können, zeigt das Beispiel des Chirurgischen Abteilung Landesklinikum Hallein. Hier wird mit hoher Qualität sowohl für die Patient*innen als auch für die Auszubildenden Chirurgie betrieben. Deshalb muss der Anspruch an die Chirurgie im Land Salzburg sein, zu zeigen und zu beweisen, worin man sehr gut ist und dies auszubauen. Und nicht zu hoffen, in allen Bereichen ohne Zertifizierung reüssieren zu können.

Zahlen 2025: Allgemein- und Viszeralchirurgie

Land Salzburg

  • Anzahl Fachärzt*innen für Allgemein- und Viszeralchirurgie in Salzburg = 162 (davon 59 über 60 Jahre, also 36 Prozent)
  • Anzahl Spitalsärzt*innen für Allgemein- und Viszeralchirurgie in Salzburg = 89 (davon 18 über 60 Jahre, also 20 Prozent)

Interviews mit Prim. Univ.-Prof. Dr. Klaus Emmanuel

Klinikvorstand der Uniklinik Salzburg für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie

med.ium: Wie fördern Sie als Ordinarius und Leiter der Universitätsklinik Salzburg für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie die Ausbildung und den Werdegang speziell des weiblichen Nachwuchses in der Chirurgie?

Prof. Dr. Emmanuel: Bei uns werden weibliche und männliche Nachwuchsmitarbeiter*Innen in gleichem Maße gefördert, die Ausbildung als auch der Werdegang speziell überwacht und individuell auf die einzelnen Bedürfnisse und Persönlichkeiten angepasst. Hierzu zählt zum einen ein detaillierter Ausbildungskatalog sowohl in konservativen als auch operativen Fähigkeiten, welcher online verfügbar ist und transparent den Ausbildungsstand und die durchgeführten Eingriffe jedes einzelnen widerspiegelt. Somit ist gewährleistet, dass niemand übervorteilt wird und zum anderen können Lücken, die entstanden sind, gezielt durch spezielle Ausbildungsmaßnahmen in diesem Bereich geschlossen werden. Je nach dem einzelnen Interesse des/der Mitarbeiters*in, werden spezielle wissenschaftliche oder aber auch klinische Schwerpunkte erarbeitet, an denen diese sich beteiligen können. Auf private oder familiäre Bedürfnisse wird individuell eingegangen.

med.ium: Wie könnten jungen Chirurginnen generell gefördert werden, um auch vermehrt Chefpositionen anzustreben?

Prof. Dr. Emmanuel: Bis zum Facharzt werden junge Chirurginnen in gleichem Maße gefördert wie ihre männlichen Kollegen. Allerdings stellen sich dann nach der Facharztprüfung, in denen die meisten Kolleginnen in einem Alter sind, in dem man Familiengründungen in die Lebensplanung inkludiert, Hindernisse in den Weg. Hierzu müssten ganz gezielt frühzeitig mehr Betreuungsplätze für Kinder innerhalb der Klinikstruktur geschaffen werden. Diese müssten flexible Aufnahmezeiten in der Früh und am Nachmittag aufweisen, um hier individuelle Arbeitszeitmodelle für die Mitarbeiter*innen zu entwickeln. Außerdem muss die Versorgung der Kinder in den Ferienzeiten ebenfalls gewährleistet sein. Mit solchen Maßnahmen der Kinderbetreuung und der flexiblen individualisierten Arbeitszeiten könnten sowohl weibliche als auch männliche Mitarbeiter gezielter ausgebildet, weiterentwickelt und somit vorbereitet werden für Chefpositionen. Es wurde von mir bereits versucht, eine Eigeninitiative ins Leben zu rufen, bei der Ärztinnen und Ärzte sich die Kinderbetreuung gemeinsam organisieren und aufteilen.

med.ium: Wie kann man die Chirurgie zukünftig familienfreundlicher und vereinbarer mit dem normalen Leben gestalten (für Frauen und Männer)?

Prof. Dr. Emmanuel: Ein individualisiertes Ausbildungskonzept, dass jederzeit vergleichbar und transparent ist, ermöglicht eine gleichmäßig strukturierte Ausbildung für alle mit einer zusätzlichen wissenschaftlichen oder klinischen Schwerpunktbildung, je nach Interesse des/der einzelnen Mitarbeiters*in. Sollten mit „familienfreundlicher und mit normalem Leben vereinbar“ die Arbeitszeiten in der Chirurgie gemeint sein, so ist dies als historisch zu betrachten, da die neuen Arbeitszeitregelungen der Europäischen Union ohnehin eine maximale Wochenarbeitszeit im Durchrechnungszeitraum regelt und somit ist die Chirurgie der Zukunft vergleichbar mit allen anderen medizinischen Fächern hinsichtlich der zeitlichen Arbeitsbelastung. Vielmehr stellt sich die Frage, ob in den vorgegebenen Zeiten die Ausbildung und Weiterentwicklung der jungen Assistenzärzt*innen sowie der Fachärzt*innen hin zum/zur Oberarzt*ärztin bis hin zum/zur Chefarzt*ärztin in den gewohnten Zeiten durchgeführt werden können. Hierzu müssen neue Ausbildungskonzepte mit Trainingssituationen und an Simulationsgeräten diskutiert und in die Ausbildung integriert werden. Außerdem muss von einer reinen Abarbeitung von OP-Zahlen, wie z.B. 20 Appendektomien, 20 Cholezystektomien usw. abgesehen werden und die Entwicklung hin zu einer kompetenzbasierten Ausbildung, in der der/die Einzelne noch individualisierter seine/ihre eigenen Ausbildungsstufen erarbeitet.

med.ium: Was muss sich in der Chirurgie-Ausbildung ändern, um für den Nachwuchs attraktiv zu sein (auch was die Niederlassungsbereitschaft anbelangt) und ihn adäquat auszubilden?

Prof. Dr. Emmanuel: Das Gesagte aus Punkt 3 schließt sich etwas an diese Frage an. Die chirurgische Ausbildung muss aus meiner Sicht kompetenzbasiert sein. Sie muss sich zum einen in der Entwicklung zum/zur Organspezialisten*in auch wieder der Entwicklung zum „spezialisierten Generalisten“ widmen, sprich zum/zur wirklichen Allgemeinchirurgen*in, der/die verschiedenen chirurgischen Krankheitsbilder der Chirurgie erkennt und einzuschätzen weiß. So braucht es gerade im niedergelassenen Bereich auch die Möglichkeiten, die Endoskopie, neben anderen Prozeduren, als wesentlichen Bestandteil zu fördern und adäquat anderer Fachdisziplinen im gleichen Maße abrechenbar zu machen, damit sich die Niederlassung finanzieren lässt.

Zusammenfassend muss die Ausbildung transparent sein, sie muss weg vom reinen Operationszahlensammeln hin zur kompetenzbasierten Ausbildung und sie muss wieder mehr Schwerpunkt legen auf den spezialisierten Generalisten neben aller Organspezialisierung, um gerade Spitäler der Peripherie mit gut ausgebildeten Chirurginnen und Chirurgen zu besetzen und um auch den niedergelassenen Bereich adäquat mit Chirurginnen und Chirurgen zu versorgen. Hierbei ist darauf zu achten, dass die Abrechnungsmodalitäten der niedergelassenen Chirurginnen und Chirurgen analog denen anderer Fachdisziplinen sind, gerade was auch die Endoskopie betrifft.

Interview Prim. Univ.-Prof. hc Univ.-Doz. Dr. Helmut Weiss, MSc

stv. Ärztlicher Direktor im Krankenhaus Barmherzige Brüder in Salzburg

med.ium: Wie fördern Sie als Stellvertretender Ärztlicher Direktor und Primarius in der Allgemeinchirurgie bei den Barmherzigen Brüdern in Salzburg die Ausbildung und den Werdegang speziell des weiblichen Nachwuchses in der Chirurgie?

Prof. Dr. Weiss: An unserer Abteilung gibt es ein strukturiertes und transparentes Ausbildungs-Curriculum, welches die Ausbildungsordnung der Allgemein und Viszeralchirurgie in groben Zügen abbildet und praxisrelevant aufgebaut ist. Es wird kein Geschlechter-Unterschied durchgeführt.

med.ium: Wie könnten jungen Chirurginnen generell gefördert werden, um auch vermehrt Chefpositionen anzustreben?

Prof. Dr. Weiss: Es gibt keinen Qualifikationsunterschied zwischen den Geschlechtern – auch in der Chirurgie gibt es Chefpositionen, die weiblich besetzt sind.

med.ium: Wie kann man die Chirurgie zukünftig familienfreundlicher und vereinbarer mit dem normalen Leben gestalten (für Frauen und Männer)?

Prof. Dr. Weiss: Das Arbeitszeitmodell schützt Frauen und Männer und bietet die Möglichkeit eines normalen Berufslebens. Die Reduktion der Aktivstunden führt allerdings zu einer Reduktion der Qualifikation – einiges wird wohl durch Simulation und virtuelles Training kompensiert werden können, der administrative Aufwand etwa durch Automatisierung erleichtert werden.

med.ium: Was muss sich in der Chirurgie-Ausbildung ändern, um für den Nachwuchs attraktiv zu sein (auch was die Niederlassungsbereitschaft anbelangt) und ihn adäquat auszubilden?

Prof. Dr. Weiss: Die Ausbildung ist neben der Patientenversorgung die wichtigste Aufgabe bzw. Verantwortung unseres Berufslebens – wir nehmen das wahr, sind attraktiv und haben kein Problem Nachwuchs zu finden. Allgemein- und Viszeralchirurgie in der Niederlassung ist bis auf wenige Bereiche ein qualitativer Nonsens. Das Fach Chirurgie kann in vielen anderen Dimensionen überzeugen.

Kommentar von Dr. Martin Grünbart

stv. Sektionsobmann Turnusärzte

In Deutschland ist im Rahmen der Krankenhausstrukturreform eine Diskussion über den qualitativen Erhalt der chirurgischen Ausbildung angesichts des steigenden Kostendrucks für Kliniken entbrannt. Dort drohen Eingriffe vom stationären in den ambulanten Bereich verschoben zu werden. Mangels einer Möglichkeit, den Arbeitgeber einfach während der Ausbildung zu wechseln, könnte es also künftig schwierig werden, alle erforderlichen Eingriffe innerhalb der Ausbildungszeit zu erlernen. 

Im Bundesland Salzburg werden 20 Prozent der Spitalsärzte für Allgemein- und Viszeralchirurgie in den kommenden fünf Jahren pensioniert werden. Und auch in Salzburg werden für kleinchirurgische Eingriffe im Krankenhaus künftig weniger finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, sodass auch hier langfristig eine Verlagerung in den ambulanten Bereich drohen könnte. 

Einsparungen werden also auch im österreichischen Gesundheitssystem durchgesetzt, die anstehende Pensionierungswelle der Babyboomer ist ein relevantes Thema für die chirurgischen Teams.

Welche Herausforderungen kommen im Bundesland Salzburg also auf uns zu? Die Kolleginnen und Kollegen, die aktuell älter als 60 Jahre, aktiv im Beruf sind und damit in den nächsten fünf Jahren in Pension gehen werden, werden sich aus den Reihen der aktuell in Ausbildung stehenden Kolleginnen und Kollegen aller Voraussicht nach rein zahlenmäßig ersetzen lassen. Es gilt aber, auch angesichts eines schwieriger werdenden finanziellen Umfeldes nicht dieselben Fehler zu machen wie unseren nördlichen Nachbarn. 

Für eine qualitativ hochwertige Ausbildung benötigt es bei Chirurgen Rahmenbedingungen, die die strukturierte Weitergabe von prozeduralem Wissen ermöglichen. Anders als in konservativen Fächern, wo theoretisches Wissen leichter auch von einer Person an mehrere gleichzeitig und zu einem beliebigen Zeitpunkt weitergegeben werden kann. 

Die chirurgische Ausbildung ist dort erfolgreich, wo strukturiert Eingriffe in zunehmender Schwierigkeit erlernt werden können. Es benötigt insbesondere am Beginn eine intensive 1:1-Betreuung, eine offene und positive Fehlerkultur und eine Personalstruktur, die es dem chirurgischen Novizen erlaubt, seine Lernkurven für alle notwendigen Eingriffe sicher und unter Supervision zu durchschreiten.

Es benötigt für all dies aber auch einen Ort, an dem das Patientenspektrum eine solche strukturierte Ausbildung zulässt. Daher ist es wichtig, ein breites chirurgisches Spektrum vom einfachen ambulanten Eingriff bis zur komplexen Operation örtlich zu vereinen. Wenn aus Gründen der Kosteneffizienz oder aber aus strukturellen Überlegungen wie dem Pooling von hochkomplexen Eingriffen an einem Zentrum eine örtliche Trennung von verschiedenen Eingriffen verursacht wird, so muss eine solche Überlegung immer auch ein Konzept für ein Curriculum künftiger Chirurginnen und Chirurgen beinhalten. 

Denn genauso wie es den chirurgischen Teams obliegt, vor Ort mit Motivation und Teamgeist die Qualität der medizinischen Versorgung im Bundesland mit einer strukturierten Ausbildung dauerhaft hoch zu halten – so liegt es auch in den Händen der Politik, in der langfristigen Planung von Infrastruktur und Gesundheitsversorgung besonders für künftige Chirurginnen und Chirurgen geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, um uns die Fehler unserer Nachbarn Lehre und nicht Vorbild sein zu lassen.