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Arzt auf hoher See

Allgemeinmediziner Dr. Jürgen Preimesberger war jahrelang weltweit als Schiffsarzt auf Kreuzfahrtschiffen unterwegs. In Österreich ist er einer der wenigen Ärzte, die Seetauglichkeitsuntersuchungen für Schiffspersonal durchführen. Welche Erfahrungen er auf den Weltmeeren gemacht hat und wie man Seekrankheit vermeiden kann erzählt er im Interview.

Arzt auf hoher See: Dr. Jürgen Preimesberger. ©privat

Von Mag. Christoph Schwalb | med.ium 3+4/2023 | 10.5.2023

Arbeiten, wo andere Urlaub machen. Davon kann der niedergelassene Allgemeinmediziner aus Neumarkt am Wallersee Dr. Jürgen Preimesberger nicht nur ein Lied singen, sondern auch ein Buch schreiben. In „Code Alpha – ein Schiffsarzt auf Kreuzfahrten“ (Berenkamp Verlag) schildert er seine Eindrücke aus sechs Jahren (2008 bis 2014) als Schiffsarzt an Bord mehrerer großer internationaler Kreuzfahrtschiffe. 

Der Ruf nach der weiten Welt lockte ihn während seiner Facharztausbildung für Innere Medizin. Nach Auslaufen der Karenzstelle und zwei Tagen Bedenkzeit entschied er sich fürs Schiff. Mit Mitte 30 startete der gebürtige Oberösterreicher 2008 seine Arzttätigkeit an Bord der US-amerikanischen Disney Cruise Line des gleichnamigen Unterhaltungskonzerns.

Bei seinen Einsätzen als diensthabender Schiffsarzt trägt er rund um die Uhr die medizinische Verantwortung für alle Passagiere an Bord. Herzinfarkte, Lungenentzündungen, Schlaganfälle, Knochenbrüche gehören zum medizinischen Alltag eines Schiffsarztes. Die häufigsten Notfälle spiegeln den hohen Altersdurchschnitt der klassischen Kreuzfahrtgäste wider. Doch auch außergewöhnliche Einsätze prägen den 
Alltag eines Schiffsarztes. 

Die Routen der Kreuzschiffe führen rund um den Globus in verschiedenste Klimazonen und Landschaften, weshalb Preimesberger eines Tages sogar die Hand einer Passagierin nach einem Elefantenbiss behandeln musste. 

Während bei den meisten Reisen nur ein oder zwei Patienten seine Hilfe auf einmal brauchten, gab es auch Extremsituationen wie der Ausbruch des Noro-Virus, wodurch über 160 Passagiere innerhalb weniger Stunden auf Dr. Preimesbergers Hilfe angewiesen waren.

Seit 2014 ist Dr. Preimesberger niedergelassener praktischer Arzt in Neumarkt am Wallersee. Neben seiner Ordination ist er auch heute noch einmal im Jahr als Schiffsarzt unterwegs und aktuell der einzige Arzt in Österreich, der im Auftrag der Kreuzfahrtgesellschaft AIDA Seetauglichkeits-untersuchungen für angehendes Schiffspersonal anbietet und durchführt. 

Wir haben ihn zu seinen Abenteuern auf den Weltmeeren interviewt und verlosen außerdem ein Exemplar seines Buches „Code Alpha – ein Schiffsarzt auf Kreuzfahrten“.

Fotos von Bord: Der Alltag eines Schiffsarztes

Interview

„Der Patient hatte großes Glück, denn Patienten mit dem Hubschrauber auszufliegen ist in den USA – zu denen die Karibikinsel Puerto Rico zählt – nicht so einfach. Normalerweise entscheidet ein Komitee von Ärzten an Land aufgrund des Befundes (EKG, Blutbild etc.), ob der Patient wirklich per Hubschrauber geholt wird.“ (Dr. Jürgen Preimesberger)

med.ium: Was hat Sie bewogen, als Schiffarzt zu arbeiten? An Bord welcher Schiffe sind Sie unterwegs gewesen?

Dr. Jürgen Preimesberger: Inspiriert von der TV-Serie „Das Traumschiff“ sowie von der Intensivmedizin trug ich insgesamt sechs Jahre hauptberuflich, von 2008 bis 2014, als Schiffsarzt die Verantwortung für die Passagiere. Nach meinem Start bei Disney Cruise Line 2008 arbeitete ich später für die Kreuzfahrtlinie Royal Caribbean, unter anderem auf dem damals weltgrößten Kreuzfahrtschiff, der „Freedom of the Seas“ mit 6000 Passagieren. Meine Reisen führten mich um die ganze Welt: in die Antarktis, nach Afrika, in die Karibik. Als diensthabender Schiffsarzt war ich auch für Reedereien wie Hapag Lloyd und die norwegische Fred Olsen Cruise Line tätig. Bis heute arbeite ich zwei bis drei Wochen im Jahr auf dem Luxussegelschiff „Sea Cloud“ als Schiffsarzt.

med.ium: Was war Ihre schönste und Ihre schlimmste Erfahrung an Bord?

Dr. Jürgen Preimesberger: Mein prägendstes Erlebnis war ein Patient vor Puerto Rico (ein Außengebiet der USA), der um Mitternacht einen Herzinfarkt (STEMI) samt kardiogenem Schock und Lungenödem erlitt und dem Tod nur knapp von der Schaufel gesprungen ist. Ich behandelte ihn mit einer medikamentösen Lyse, so dass sich der Thrombus auflösen konnte, da an Bord keine Angiographie und Stenting möglich war und stabilisierte seine Vitalparameter mittels Katecholaminperfusoren. Es war unbedingt erforderlich, den Patienten bei Verdacht auf hochgradiger Mehrgefäß- oder Hauptstammstenose mittels Stents oder Bypass zu rekanalisieren. Deshalb flog ihn nach Stabilisierung noch in der Nacht ein Hubschrauber nach Puerto Rico aus, wo man umgehend nach Durchführung einer Angiographie eine Mehrfach-Bypassoperation durchführte. Glücklicherweise ist am Ende alles gut ausgegangen. Angesichts der systemischen Lysetherapie war ein derartiger Eingriff höchst riskant, aber wegen des Koronarbefundes die einzig lebensrettende Maßnahme. Nach zwei Monaten kam der Patient wieder an Bord und bedankte sich bei meinem Team und mir, dass wir ihm das Leben gerettet haben (siehe Dankesbrief Foto). Der Patient hatte großes Glück, denn Patienten mit dem Hubschrauber auszufliegen ist in den USA – zu denen die Karibikinsel Puerto Rico zählt – nicht so einfach. Normalerweise entscheidet ein Komitee von Ärzten an Land aufgrund des Befundes (EKG, Blutbild etc.), ob der Patient wirklich per Hubschrauber geholt wird.

med.ium: Was gibt es bei internationalen Reisen zu beachten?

Dr. Jürgen Preimesberger: In den USA muss ein Zwischenfall hochgradig indiziert sein, damit der Patient/die Patientin mit dem Hubschrauber ausgeflogen wird. In Afrika steht größtenteils kein Hubschrauber zur Verfügung. In Arabien hatten wir mal eine Frau mit Hirnblutung, es war kein Hubschrauber greifbar, woraufhin ich anfragte, ob vielleicht von einer nahegelegenen Bohrinsel einer anfliegen könnte. Als sich dann herausstellte, dass es sich bei dem Patienten um eine Frau handelt, wurde uns bzw. ihr ein Hubschraubereinsatz aus religiösen Gründen gänzlich verwehrt. Trotz dieses Zwischenfalles hat die Patientin zum Glück überlebt. Sie wurde am nächsten Tag ausgeschifft. Es war auf Messers Schneide. Generell kann ein Hubschrauber bis zu einer Stunde zum Schiff anfliegen, die Bergung ist in jedem Fall sehr schwierig.

med.ium: Wie kann ich als Passagier Seekrankheit vermeiden?

Dr. Jürgen Preimesberger: Seekrankheit ist an Bord ein Dauerthema. In meinen sechs Jahren als Schiffsarzt war ich persönlich allerdings noch nie seekrank. In den USA gibt es Automaten mit Tabletten gegen Seekrankheit oder auch an der Rezeption an Bord erhält man diese gratis. Generell behandelt man Seekrankheit im Nachhinein nie. Diese Krankheit präsentiert sich sehr unterschiedlich: manche Leute werden nie seekrank, manche werden immer seekrank und es gibt Leute, die werden nur alle 15 Jahre seekrank. Prophylaktisch kann man dagegen ein Pflaster verabreichen, es hilft aber auch schon, an die frische Luft zu gehen und einen grünen Apfel zu essen. Man sollte auf jeden Fall immer etwas im Magen haben. Ein guter Tipp bei Seekrankheit ist auch, in die Mitte des Schiffdecks zu gehen und den Horizont am Himmel zu fixieren.

med.ium: Wie läuft die Notfall-Koordination an Bord und im Ärzteteam ab?

Dr. Jürgen Preimesberger: Sobald jemand medizinisch versorgt werden muss oder auf dem Schiff zusammenbricht, sei es auf der Kabine oder im Speisesaal, wird der sogenannte „Code Alpha“-Alarmcode für medizinische Notfälle [gleichnamiger Titel des Buches von Dr. Preimesberger; Anm. d. Red.] aktiviert. Das heißt, dass der Passagier oder die Crew, die den Patienten vorfindet, die Kommandobrücke des Schiffs verständigt und über Lautsprecher mehrmals „Code Alpha“ ausgerufen wird, woraufhin das Notfall-Team („Emergency Response Team“) zum Notfallort anrückt. Dieses Team besteht aus zehn bis 15 Crew-Mitgliedern und untersteht dem Medical Team, dem es das Notfall-Equipment aus dem Schiffshospital bringt. Diese Mitglieder, ähnlich Rettungssanitätern, sind dahingehend geschult zu reanimieren, mir das medizinische Equipment zu reichen und auch beispielsweise Infusionen aufziehen zu können. Einmal die Woche werden verschiedene Notfallabläufe geprobt. Das Notfall-Team erstversorgt den Patienten, macht ihn transportfähig und bringt ihn dann ins Medical Center auf die Intensivstation zur Stabilisierung. Dort klären wir weiter ab, ob er an Bord verbleibt oder über den See- oder Luftweg (mit dem Hubschrauber) ausgeschifft wird.

„Die Krankheiten entsprechen dem Alter der Passagiere. Das Durchschnittsalter des klassischen Kreuzfahrtgastes beträgt 75 und höher.“

med.ium: Welche Krankheiten und medizinischen Einsätze sind die häufigsten an Bord?

Dr. Jürgen Preimesberger: Die meisten Einsätze liegen hauptsächlich im Bereich der Notfallmedizin. Als Schiffsarzt ist man eine Mischung aus Notfallmediziner und praktischem Arzt. Bei den Notfällen handelt es sich um die gängigsten Vorkommnisse, die man auch in einer Notaufnahme behandelt: Herzinfarkte, Schlaganfälle, Hirnblutungen, Lungenentzündungen, Lungenödeme, Rhythmusstörungen, Koliken – und auch Knochenbrüche sieht man sehr viele. Die Krankheiten entsprechen dem Alter der Passagiere. Das Durchschnittsalter des klassischen Kreuzfahrtgastes beträgt 75 und höher.

med.ium: Bis zu welchem Grad können maximal-intensive Eingriffe am Schiff versorgt werden?

Dr. Jürgen Preimesberger: Dieselben Eingriffe wie in einem normalen Hospital: intubieren, künstlich beatmen, Dialyse, digitales Röntgen, Ruhigstellung mittels Gips. Auch instabile, kritisch kranke Patienten können auf der Intensivstation stabilisiert werden. Bis auf Operationen ist jeder Unfall behandelbar. Die Bordapotheke ist zudem mit intravenösen Medikamenten, Antibiotika und Sedativa ausgestattet.

Wir bedanken uns für das Interview!