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Wissenswertes

Arbeitsplatz Spital: Generation 50 plus

Wie die Zukunft der Gesundheitsversorgung angesichts des Generationswechsels in der angestellten Spitalsärzteschaft sowie der Expertisetransfer zum ärztlichen Nachwuchs erfolgreich gelingen können, hat die ÖÄK bei einer Enquete in Linz erörtert.

Von Mag. Christoph Schwalb | med.ium 11+12/2023 | 13.12.2023

Im November hat die Bundeskurie der Angestellten Ärzte der ÖÄK ins Med Campus Loft der Kepler Universität über den Dächern von Linz geladen. Da viele erfahrene Ärztinnen und Ärzte der Generation 50  plus in den kommenden zehn bis 15 Jahren in den Ruhestand gehen werden, drängt sich die Frage auf, wie sie bei der Ausbildung des ärztlichen Nachwuchses ihr Wissen weitergeben können. Angesichts der älter werdenden Gesellschaft wäre ein Modell wünschenswert, in dem angestellte Spitalsärzte einerseits selbstbestimmt und motivierend auf ihren Ruhestand hinarbeiten können und andererseits die Gesundheitsversorgung aufrechterhalten wird.

„Wenn wir die älteren Ärztinnen und Ärzte ohne Maßnahmen zu setzen aus dem System verschwinden lassen, bekommen wir einen massiven Versorgungsnotstand“, warnt ÖÄKVizepräsident und Bundeskurienobmann angestellte Ärzte Dr. Harald Mayer bei der Eröffnung der Enquete. Um das zu verhindern, sei es notwendig, Bedingungen zu schaffen, unter denen Ärztinnen und Ärzte über 50 gerne weiterarbeiten. Dazu zählt Mayer vor allem das Konzept der Patientenlenkung innerhalb der Gesundheitsversorgung.

„Wenn wir die älteren Ärztinnen und Ärzte ohne Maßnahmen zu setzen aus dem System verschwinden lassen, bekommen wir einen massiven Versorgungsnotstand."

In seinem Vortrag stellt Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mazal, stv. Vorstand des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Uni Wien, klar, dass Gesundheit heutzutage sehr wertvoll ist und sich bei vielen die Frage „Warum länger arbeiten?“ aufdränge. Dies beruhe auf mehreren individualbiografischen Aspekten wie etwa, dass rund 50 Prozent der AkademikerInnen mit 35 Jahren noch kinderlos sind. Zum anderen herrsche auch in fachlich spannenden Bereichen Zeitdruck und Bürokratie vor. Hinzu komme die „dünne Personaldecke“, da die junge Ärztegeneration nicht mehr gewillt ist, so lange und so viel zu arbeiten wie die Generation vor ihr.

Für Betroffene stellten sich mehrere Lösungswege dar: entweder sie gehen in die Niederlassung, um autonomer von Zeitdruck und Bürokratie zu sein oder aber ArbeitergeberInnen sorgen dafür, den Arbeitsplatz zu optimieren. Das könne mittels Gehaltsanpassungen, den sogenannten „fringe benefits“, nur bedingt gelingen, da Fremdbestimmtheit auf Dauer nie gut sei, so Mazal. Langfristig ist es besser, den Arbeitsplatz anzupassen, die Qualität der Kooperation innerhalb des Spitals zu erhöhen, zermürbende Abläufe zu beseitigen, die Autonomie zu erhöhen und die extramurale Kommunikation zu optimieren, so Mazal.

Für einen Blick über den Tellerrand sorgt Ing. Franz Nigl. Der Personalchef der Post AG erklärte, man habe bei einer Untersuchung zur Mitarbeiterzufriedenheit versucht, die Stressfaktoren innerhalb der Belegschaft (rund 40 Prozent ist über 50 Jahre alt) zu ermitteln. Das Ergebnis offenbarte, dass 60 Prozent des Stresses nicht in der Arbeit, sondern im privaten Bereich seinen Ursprung hat. Erst danach folgten weitere Stressfaktoren, die unmittelbar mit Vorgesetzten und Kolleginnen und Kollegen zusammenhingen.

Wenn Ältere aufgrund von Altverträgen mehr verdienten als ihre jüngeren Kolleginnen und Kollegen, dann gehe die Mitarbeiterzufriedenheit verloren. Mitarbeiter über 50 Jahre besser zu stellen, führe meist zu Spannungen, so Nigl. Man müsse Arbeitnehmer, die können aber nicht wollen, unterscheiden von Arbeitnehmern, die wollen aber nicht können. Ein gutes Gesundheitsmanagement für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter etwa könne helfen, fehlende objektive Rahmenbedingungen zu beseitigen. 

„Ärzte seien häufig unglücklich, weil sie aufgrund der überbordenden Bürokratie und fehlerhafter IT oft nicht das tun können, wofür sie ausgebildet wurden.“

 Bei der anschließenden Podiumsdiskussion versuchten Dr.in Ruth Krumpholz (stv. Chefärztin am LKH Bludenz und Vorsitzende der Ausbildungskommission der ÖÄK), Univ.-Prof. in Karin Gutiérrez-Lobos (ehem. Vizerektorin der MedUni Wien und ehem. ärztliche Direktorin der Klinik Landstraße), Dr. Gerhard Postl (Leiter des Dept. für allg. Innere Medizin und Notfallaufnahme am Standort West des LKH Graz II) sowie Dr. Harald Mayer, Dr. Wolfgang Mazal und Ing. Franz Nigl zu erörtern, wie ein gesunder, motivierender und individueller Übergang vom altersgerechten Berufsleben in den Ruhestand aussehen könnte.

Für ein altersgerechtes Arbeiten sei vor allem die Organisation und Mitarbeiterführung immanent, so Dr.in Krumpholz. Es dürften keine Konflikte mit den Jüngeren geschürt werden, und Führungskräfte müssten dafür sorgen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anständig arbeiten können. Das sollten die Angestellten einfordern. Beim altersgerechten Arbeiten seien besonders die Social Skills sowie die Stressresistenz der älteren Generation sehr wertvoll, für die „Work-Life-Balance“ lange ein Fremdwort war. Ganz wichtig sei auch ein Change Management im Anwendungsbereich, wie z. B. elektronische Fieberkurven in Spitälern, bei dem Junge und Ältere gemeinsam voneinander lernen. 

Dr. Mazal fordert, dass Politik raus aus den operativen Organisationsabläufen von Krankenhäusern müsse und diese wiederum aus dem System öffentlicher Dienst entbunden werden. Das Arbeitsrecht gebe hinsichtlich altersgerechtem Arbeiten wesentlich mehr her als viele Verträge bieten. Ältere müssten tun, was Junge nicht machten, das wäre nachhaltig, so Mazal. Nicht überlegen, was schiefgehen kann, sondern machen, was möglich ist und Neues einfach machen, sei das Gebot der Stunde. „Gewinnen durch Loslassen alter Gewohnheiten“, nennt er das.

Ärzte seien häufig unglücklich, weil sie aufgrund der überbordenden Bürokratie und fehlerhafter IT oft nicht das tun könnten, wofür sie ausgebildet wurden, meldete sich Univ.- Prof.in Gutiérrez-Lobos zu Wort.  Einwandfrei funktionierende IT sei existenziell im medizinischen Alltag. Neue Arbeitszeitmodelle wie etwa Jobsharing wären auch für Krankenhäuser ideal. Sehr positiv sei der heutige freundschaftlichere  Umgang mit Kolleginnen und Kollegen im Vergleich zu früher. Man solle die Expertise von Ärzten im Ruhestand auch weiterhin nutzen, z. B. im Ausbildungsbereich, und das regional organisieren, so Gutiérrez-Lobos.

Dazu gehöre vor allem, die Situation in den Kliniken zu verbessern, so Dr. Postl. Bei der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft (KAGES) haben Ärztinnen und Ärzte ab 55 Jahren die Möglichkeit, nur noch zwei Nachtdienste pro Monat und ab 60 Jahren gar keine mehr zu leisten, wenn die Rahmenbedingungen dies zulassen. Die Realität mit hohen Überbelegungsraten im Spital sei hingegen demotivierend –
man behandelt Patienten nicht mehr, sondern schickt sie nur in freie Spitäler weiter. 

Eine zeitgleiche Befragung zur Arbeit im Spital unter den Gästen bestätigte, dass die Arbeitsbelastung und bürokratische Aufgaben sehr hoch seien. Sie ergab allerdings auch, dass die Mehrheit der befragten Ärztinnen und Ärzte in der Pension gerne weiterarbeiten würde – vor allem im Ausbildungsbereich. Zur Frage, welche Rahmenbedingungen für ein längeres, altersgerechtes Arbeiten verbessert werden müssten, nannten die Befragten: a) Teilzeit / Befreiung von Nachtdiensten, b) finanzielle Anreize, c) Dienstpläne anpassen und d) weniger Bürokratie.

Vor allem die Organisation der Rahmen- und der Arbeitsbedingungen (bessere IT, weniger Bürokratie, individuellere Dienstpläne) sowie ein unterstützendes Management sei den Angestellten sehr wichtig. Nur  scheine es leider momentan niemanden in den Management-Ebenen zu geben, der sich ernsthaft darüber Gedanken mache, so Bundeskurienobmann Dr. Mayer abschließend.