Von Mag. Alexandra Straif | med.ium 5+6/2025
Zu den traditionellen ärztlichen Berufspflichten zählen seit jeher die Anzeige- und Meldepflichten im Zusammenhang mit mutmaßlichen Straftaten und übertragbaren Krankheiten. Es handelt sich dabei um ausdrücklich gesetzlich geregelte Ausnahmen von der diametral dazu stehenden grundsätzlichen Verpflichtung zur Verschwiegenheit. In diesen Fällen hat der Gesetzgeber die gebotene Interessenabwägung vorweggenommen und die Interessen der Strafrechtspflege bzw. der öffentlichen Gesundheitspflege als höherwertig zu jenen der individuellen Patient:innen gewertet.
Ergibt sich im Rahmen der Berufsausübung der begründete Verdacht, dass eine Tötung, schwere Körperverletzung oder Vergewaltigung begangen wurde, sind die behandelnden Ärzt:innen nach dem Ärztegesetz unverzüglich zur Anzeige an die Polizei oder Staatsanwaltschaft verpflichtet. Eine schwere Körperverletzung liegt vor, wenn die Tat eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur Folge hat oder die Gesundheitsschädigung an sich schwer ist (wie z.B. bei den meisten Knochenbrüchen). Ob die Tat mutmaßlich vorsätzlich oder fahrlässig ausgeübt wurde, ist im Hinblick auf die Anzeigepflicht nur insofern relevant, als bei Verdacht einer vorsätzlichen schweren Körperverletzung Ärzt:innen zusätzlich auf bestehende Opferschutzeinrichtungen hinzuweisen haben.
Bei Minderjährigen oder entscheidungsunfähigen bzw. wehrlosen Opfern wird die Anzeigepflicht ausgedehnt und erfasst zusätzlich noch die Straftatbestände der Misshandlung (z.B. Blutergüsse/Prellungen durch häusliche Gewalt), des Quälens (z.B. psychische Störung durch beharrliche Drohungen), der Vernachlässigung (z.B. Entwicklungsstörungen aufgrund von Unterernährung) und des sexuellen Missbrauchs (insb. Verleitung/Nötigung zu geschlechtlichen Handlungen).
Das Ärztegesetz sieht einige wenige Ausnahmen vor, wonach eine Anzeige dennoch unterbleiben kann. Dies insbesondere, wenn diese dem ausdrücklichen Willen eines volljährigen, entscheidungsfähigen Opfers widersprechen würde, sofern keine unmittelbare Gefahr droht und die klinisch-forensischen Spuren gesichert wurden. Ebenso wenig besteht eine Anzeigepflicht, wenn diese im konkreten Fall das Arzt-Patienten-Vertrauensverhältnis beeinträchtigen würde und keine unmittelbare Bedrohung vorliegt.
Der Verdacht muss auf konkreten Anhaltspunkten beruhen, die es nach den ärztlichen Erfahrungen als naheliegend oder möglich erscheinen lassen, dass physische oder psychische Auffälligkeiten durch derartige Straftaten verursacht wurden. Bloße Vermutungen rechtfertigen die Annahme eines Verdachts nicht und müssen zumindest von weiteren Beobachtungen oder Erhebungen gestützt werden.
Eine Verpflichtung zur Selbstanzeige besteht aufgrund des verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbezichtigungsverbots nicht.
Bei Verdacht einer erheblichen Kindeswohlgefährdung besteht parallel dazu die Pflicht zur unverzüglichen, schriftlichen Mitteilung an den örtlichen zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat/Bezirkshauptmannschaft). Weitere Informationen, Folder und ein Online-Formular sind auf der Homepage des Landes Salzburg abrufbar unter: www.salzburg.gv.at/themen/soziales/kinder-und-jugendhilfe/kindeswohl
Darüber hinaus darf der Verdacht weiterer Straftaten jederzeit zur Anzeige gebracht werden, eine Verpflichtung hierzu besteht – wie bei Privatpersonen – jedoch nicht.
Die ärztlichen Meldepflichten im Zusammenhang mit übertragbaren Krankheiten ergeben sich nicht direkt aus dem Ärztegesetz, sondern aus Spezialgesetzen wie insbesondere dem Epidemiegesetz, dem Geschlechtskrankheitengesetz, dem AIDS-Gesetz und dem Tuberkulosegesetz. Diese legen bei bestimmten Krankheiten unter gewissen Umständen eine Meldepflicht von Ärzt:innen an die zuständige Gesundheitsbehörde (Magistrat/Bezirkshauptmannschaft/BMASGPK) fest. Eine detaillierte Darstellung der meldepflichtigen Krankheiten und Fälle des BMASGPK finden Sie auf unserer Homepage unter: www.aeksbg.at/meldepflichten (Login erforderlich)
Alle Meldungen können im elektronischen Wege über eine gesonderte Schnittstelle erfolgen, die direkt in die Ordinationssoftware implementiert werden kann.
Die Verletzung von Anzeige- und Meldepflichten stellt eine disziplinarrechtlich relevante Berufspflichtverletzung dar und ist in den meisten Fällen zusätzlich mit einer Verwaltungsstrafe bedroht. Auch strafrechtliche und haftungsrechtliche Konsequenzen können nicht ausgeschlossen werden.
Für Rückfragen steht Ihnen die Rechtsabteilung der Ärztekammer für Salzburg gerne zur Verfügung.
Mag. Alexandra Straif
Servicebereich Recht
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