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Leitartikel

Abgrundtiefes Unverständnis

Der Leitartikel aus dem Präsidium.

med.ium 1+2/2023 | 15.2.2023

Wann sollte man sich über unsere Politik Sorgen machen? Diese Frage hat wohl jede/r mit sich selbst zu klären. Mir hilft jedenfalls in vielen Fällen Gelassenheit zu einer zumindest emotionalen Distanz. Wenn aber nun wieder bedrohlich gehäuft Meinungen, Vorschläge, Bewertungen und Kritik aus vielstimmigen Politikquellen entspringen, ist Sorge durchaus angebracht. Eine Stimme will junge Ärztinnen und Ärzte für Land und System zwangsverpflichten, eine andere betreibt die Elimination einer Ärztegruppe mit penetranter Beharrlichkeit und wieder andere schlagen offensichtlich ernsthaft vor, das hochkomplexe Finanzierungssystem des heimischen Gesundheitssystems durch Schaffung einer dritten Säule weiter zu komplizieren. Und in der Standesvertretung der Ärzteschaft ortet man „zu viel Macht“. Wohl, weil sie nicht zu all den Vorschlägen „Ja und Amen“ sagt.

All die genannten Aspekte und Positionen könnte man vielleicht noch als Grundlage eines Diskurses unterschiedlicher Interessenslagen durchgehen lassen, aber allen ist das abgrundtiefe Unverständnis für die Leistungserbringer im Gesundheitssystem gemeinsam. Es ist nicht Wander- und Abenteuerlust, die Kolleginnen und Kollegen ins Ausland führt, sondern es sind schlechte Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern. Es ist keine Abkehr der Ärzteschaft vom sozialen Gesundheitssystem, wenn zunehmend Vertragsärzte zum Wahlarztangebot wechseln. Es ist vielmehr Folge von Zeitdruck und Leistungsverdichtung, die mit den Berufsvorstellungen einer zufriedenstellenden Patientenbetreuung kollidieren. Aber sehen wir uns um, auch bei unseren PartnerInnen in der Pflege hat man über Jahre durch Gängelung, Überregulierung, Arbeitsverdichtung und Dokumentationslasten die Attraktivität dieser Berufe massiv beeinträchtigt.

Es ist höchst an der Zeit, dass jene, die mit ihren Entscheidungen unsere Berufswelt so gerne verändern, auch anerkennen, dass Geschwindigkeit und Frequenz nur die eine Seite des Erfolgs sind – und für uns nie die wichtigste sein kann. Andernfalls verkommen noch so „geniale Reformen“ zu leeren Hülsen. 

Mit kollegialen Grüßen

Ihr Dr. Karl Forstner

Präsident der Ärztekammer für Salzburg