Von Mag. Christoph Schwalb | med.ium 5+6/2024 | 14.6.2024
In einem spannenden und anschaulichen Vortrag im Rahmen der medizinischen Abendfortbildung in der Ärztekammer für Salzburg Mitte Mai hat Prim. Univ.-Prof. Dr. Richard Greil (Universitätsklinik für Innere Medizin III, LKH Salzburg) dargelegt, wie gut man Patienten auch im hohen Alter onkologisch behandeln kann.
Der gebürtige Salzburger ist eine Koryphäe im Bereich Onkologie und gehört im Bereich „Clinical Medicine“ zu den weltweit meistzitierten Forschern. Er veröffentlichte bislang über 800 wissenschaftliche Beiträge, seine Erkenntnisse wurden in mehr als 34.500 Arbeiten zitiert.
Die Lebenserwartung steige laut Prof. Greil kontinuierlich alle vier Jahre um ein Jahr – vor allem in Nordamerika und Europa. Menschen, die 2031 geboren werden, können mit einer Lebenserwartung von 100 Jahren rechnen. Daher könne man heutzutage bei 65-Jährigen nicht mehr von „alt“ reden, so Greil. Vielmehr unterscheide man zwischen jungen Alten (65 bis 75), alten Alten (75 bis 85) und sehr Alten (über 85 Jahre). Seine klinischen Daten und Fälle bezogen sich ausschließlich auf Krebspatienten mit einem Alter über 80 Jahre.
Erwiesenermaßen steigt mit zunehmendem Alter die Krebsinzidenz. Im Zusammenhang mit alten Patienten ist auch häufig die Rede von „Frailty“ oder „frail“, doch nicht jeder alte Mensch ist „frail“. Alter und Komorbiditäten sind keine Einbahnstraße, deshalb plädiert Prof. Greil dafür, alte Patienten und deren Zustand aufgrund klinischer Erfahrung und nicht aufgrund des Alters zu beurteilen.
Tumore können auch bei Patienten über 80 gut behandelbar sein, mit mehreren Jahren an Überlebenschance, wenn sie rasch einer Behandlung zugeführt werden. Laut Greil kann man Patienten in hohem und auch in höchstem Alter sehr erfolgreich onkologisch betreuen. Dabei hilft vor allem, die onkologischen Aspekte anhand mehrerer Punkte vorurteilsfrei zu betrachten.
Ageism, also die Diskriminierung von älteren Menschen aufgrund ihres Alters, wirkt nachweislich lebensverkürzend. Positive Stereotypen hingegen führen zu einer 44 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit zur Erholung. Die Haltung zum Alter hat laut Greil ganz massive Auswirkungen auf das Alltagsleben.
Erwiesenermaßen steigt mit zunehmendem Alter die Krebsinzidenz. Im Zusammenhang zwischen Alterung und Krebserkrankung spielen vor allem sogenannte seneszente Zellen eine Rolle. „Diese alternden Zellen leben zwar weiter, können sich aber nicht mehr teilen, weshalb man sie als eine Art Schutz vor Krebs betrachtet. Auf der anderen Seite haben diese seneszenten Zellen jedoch den Nachteil, dass sie sehr stark proinflammatorisch sind, das heißt, sie sehr stark Botenstoffe (Zytokine) freisetzen, die benachbarte Zellen zu einer verstärkten Proliferation bringen und zum Teil kanzerogen wirken“, erklärt Greil exemplarisch.
„Die seneszenten Zellen sind erschöpfte Zellen, die in den meisten Fällen genetischen Schaden genommen, also eine veränderte Erbsubstanz haben. Diese Erbsubstanz kann zu einer Krebserkrankung führen, wenn der Schaden nicht kontrolliert werden kann. Normalerweise gehen solche Zellen zugrunde – man nennt das Apoptose, also einen natürlichen Zellentod –, für den es in den Zellen ein genetisches Programm gibt. Eine andere Art ist, dass diese Zellen nicht komplett absterben, sondern dass sie sich nicht mehr teilen können. Damit kann eine Tumorerkrankung nicht entstehen, selbst wenn diese Zelle maligne ist. Auf der anderen Seite sind diese seneszenten Zellen sehr aktiv in der Freisetzung von Entzündungsfaktoren, und diese chronischen Entzündungsfaktoren sind ihrerseits kanzerogen, krebserregend. So haben wir auf der Seite einen Verhinderungsprozess in der Zelle selbst, aber auf der anderen Seite einen prokanzerogenen Effekt auf die Umgebung.“
Im Zusammenhang mit alten Patienten ist auch häufig die Rede von „Frailty“ oder „frail“, was mit Gebrechlichkeit übersetzt werden kann. Das eigenständige Krankheitsbild von „FRAIL“ (Fatique, Resistenz, Ambulation, Illness, Lost of weight), oftmals gepaart mit Sarcopenie (Muskelschwund), habe durchaus seine Berechtigung, doch sei nicht jeder alte Mensch „frail“, so Greil.
Alter und Komorbiditäten seien keine Einbahnstraße, sagt er und plädiert dafür, alte Patienten und deren Zustand aufgrund klinischer Erfahrung und nicht aufgrund des Alters zu beurteilen: „Nummerisches Alter hat überhaupt keine aussagekräftige Bedeutung und spielt in der Onkologie eine völlig untergeordnete Rolle“, so Greil. Laut ihm überschätzten Scores die 1-Jahres-Mortalität bei Frail-Patienten teils dramatisch.
Stattdessen solle bei Älteren auf die Symptome geachtet werden. Tumore könnten auch bei Patienten über 80 gut behandelbar sein, mit mehreren Jahren an Überlebenschance, wenn sie rasch einer Behandlung zugeführt würden, so der Onkologe.
„Mit zunehmendem Alter nimmt die Zahl an Komorbiditäten, also Begleiterkrankungen, zu. Das ist darauf zurückzuführen, dass wir auf der einen Seite degenerative Prozesse, also Abnützungsprozesse, auf der
anderen Seite schleichende Erkrankungen wie Bluthochdruck haben. Verbunden damit, dass viele Menschen Toxine (Alkohol, Tabak, etc.) einnehmen und sich wenig körperlich bewegen, sind das Faktoren, die über die Zeit hinweg einen Dosis-Wirkungs-Effekt haben und andere (z.B. kardiovaskuläre) Probleme verursachen können, die eben auch eine krebsfördernde Wirkung haben.“
Greil sagt, als Onkologe begegne er im Alltag Ärzten, die die Vorstellung hätten, die Patienten vor den Möglichkeiten der Therapie zu schützen und nicht umgekehrt: nämlich deren Leben zu schützen.
Gerade in akademischen Zentren wie Unikliniken mit Forschungsabteilung sei die Behandlung von Patienten am häufigsten, dort werde versucht, das vermeintlich Unbehandelbare behandelbar zu machen. Dafür sei jedoch eine nichtdepressive und nichtnihilistische Herangehensweise notwendig.
„Niemand sollte nur aufgrund des nummerischen Alters die Vorentscheidung darüber treffen, dass ein Patient nicht behandelt wird. Sondern es sollten immer ein oder mehrere Argumente gefunden werden gegen die bestmögliche onkologische Betreuung. Das bedeutet nicht, dass jeder Patient die maximale Therapie wird bekommen können, aber es ist sehr wichtig, einen strukturierten Prozess zu haben, bei dem man nicht von Vornherein sagt, dass dieser Patient nicht behandelt werden kann. Es muss in jedem einzelnen Fall abgehandelt werden und dann kann man versuchen, eine andere Therapie zu finden. Es kann kein a priori-Argument sein, dass jemand nicht behandelt werden sollte. Natürlich werden Patienten existieren, für die eine tumorkausale Therapie nicht mehr in Frage kommt. Das ist etwas, das man als Grundlage der Neutralität über die Beurteilung von Sachverhalten stellen muss. Laut Gesetz dürfen Kosten einer optimalen Therapie nicht im Wege stehen. Das ist ganz eindeutig gesetzlich geregelt.“
Mit jeder besseren und größeren Behandlung sind auch die Überlebenschancen höher. Allerdings solle bei ersten Anzeichen nicht zu lange auf eine Behandlung gewartet werden. Das Alter sei relativ, denn laut Studien zu Darmkrebs habe die Gruppe der Patienten zwischen 85 und 89 Jahren sehr gute Prognosen, so Greil. So betrage etwa die mittlere Lebenserwartung bei therapierten Patienten über 90 mit Darmkrebs rund vier Jahre.
Die Quintessenz: man kann Patienten in hohem und auch in höchstem Alter sehr erfolgreich onkologisch betreuen. Man dürfe niemals den Anspruch auf Heilung oder das bestmögliche Therapieergebnis a priori fallenlassen, nur weil der Patient nummerisch alt ist, sondern man müsse es an die Notfallsituation und Akuität adaptieren, plädiert Greil.
Zusammenfassend hebt Prof. Greil hervor, dass vor allem Ageism, also die Diskriminierung von älteren Menschen aufgrund ihres Alters (durch Außenstehende), das Leben nachweislich verkürzt. So leben laut Studien ältere Menschen, denen man mit einer negativen Haltung dem Alter gegenüber begegnet, im Schnitt 7,5 Jahre kürzer und sind mit stärkerem Gedächtnisverlust konfrontiert. Auch führe eine solche Einstellung zu einem insgesamt schlechteren Gesundheitsverhalten.
Positive Stereotypen hingegen, beispielsweise bei chronischen Erkrankungen, führen zu einer 44 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit zur Erholung. Die Haltung zum Alter hat laut Greil ganz massive Auswirkungen auf das Alltagsleben, Partnerschaften als auch auf die Wahrnahme der ärztlichen Rolle. Daher müsse man unbedingt wegkommen von Internalisierungen wie „to be old is to be ill“ – denn sehr oft führten die negativen Einstellungen dem Alter gegenüber zu reduzierter Lebensqualität und vorzeitigem Lebensverlust durch Unterlassung von Behandlung und Fürsorge.